Falsches Signal

"Mimosenhaft": CSU-Chef Söder spielt die Angriffe auf die Grünen herunter - das ist fatal

Roland Englisch

Nürnberger Nachrichten

E-Mail zur Autorenseite

19.3.2024, 15:00 Uhr
Auch den grünen Bundesagrarminister Cem Özdemir haben die Gegner im Visier. In Biberach durchschlug ein Stein das Fenster eines seiner Begleitfahrzeuge.

© David Nau, dpa Auch den grünen Bundesagrarminister Cem Özdemir haben die Gegner im Visier. In Biberach durchschlug ein Stein das Fenster eines seiner Begleitfahrzeuge.

Behaupte niemand, Markus Söder und die CSU beherrschten nicht die Kunst des Framings. Wie gut sie Themen setzen und Stimmungen steuern können, erleben gerade schmerzhaft die Grünen.

Arbeiten mit Klischees

Seit Monaten malen die Christsozialen ein Bild der Grünen, das sie als Brachialveganisierer, Heizungsfeinde, Deindustrialisierer, Verbotsfreunde, Zwangsbeglücker, Klimawahnsinnige und Woke-Fanatiker darstellt. Dass diese Klischees mit der Realität der Grünen wenig bis nichts zu tun hat, stört die Verantwortlichen nicht. Denn es funktioniert. Die Menschen laden vieles im Verantwortungsbereich der Ökopartei ab, was sie als störend empfinden, als lästig und unbequem.

Die CSU hat den Aufstieg der Grünen argwöhnisch verfolgt. Söders Antwort war der Versuch, die Grünen durch Umarmen zu erdrücken. Inzwischen gibt er den enttäuschten Liebhaber, dessen Liebe in Hass umschlägt. Söder dürften derlei Gefühle fremd sein. Seine Politik folgt einem pragmatischen, oft populistischen Ansatz. Hätte er sich mehr von einer Linie mit den Grünen versprochen, er wäre an ihrer Seite geblieben. Seine Analyse der eigenen konservativen Wählerschaft hat ihn in die Gegenrichtung schwenken lassen.

Die Grünen sind gewiss nicht zimperlich; sie formulieren ihre Ziele klar und stellen den politischen Gegner, wo es ihnen richtig erscheint, hart in der Sache. Wer austeilt, der muss einstecken können. Doch das, was die Grünen erleben, geht darüber hinaus.

Mehr als tausend Übergriffe

Im vergangenen Jahr, das zeigt eine Auswertung des Bundestags, haben die Grünen bundesweit fast 1250 Über- und Angriffe erlebt. Auf Platz zwei folgt die AfD - mit unter 500. Jeder Zwischenfall ist einer zu viel, egal bei wem; aber die Statistik zeigt, wie aufgeheizt die Stimmung ist. Das hat mit einer sachlichen Auseinandersetzung nichts zu tun.

Die Grünen bestreiten nicht, dass ein Teil der Missstimmung auf ihre eigenen Fehler zurückgeht, in der Kommunikation wie in den Inhalten. Doch das rechtfertigt nicht, dass sie Veranstaltungen abbrechen müssen oder gar nicht beginnen können und Spitzenpolitiker unter Polizeischutz abreisen müssen, weil sie massiv bedrängt werden. Es rechtfertigt keinen Steinwurf, keine Beleidigung, keinen Übergriff.

Die Verharmloser von der CSU

Besonders bedrückend ist, wie sich die CSU verhält. Markus Söder nennt die Grünen "mimosenhaft", CSU-Spitzenpolitiker behaupten, die Grünen betrieben "Opferkult" oder "Legendenstrickerei" und unterstellen, sie wollten Kritik unterdrücken. Das ist nicht nur infam, das ist vergiftet. Mit diesem Verharmlosen der Geschehnisse liefern sie den Randalierern das Argument, warum ihr Tun gerechtfertigt sei.

Das ist umso bedenklicher, als der Angriff zwar auf die Grünen zielt, die Demokratie aber insgesamt trifft. Etwas mehr Solidarität in der Sprache und etwas weniger Radikalität im Verdrehen täte der CSU gut - und dem Land auch.

Verwandte Themen


3 Kommentare