100 Tage nach dem Massaker der Hamas

Nahost: Bisher wurde der Flächenbrand vermieden. Und Berlin kippt die wertegeleitete Außenpolitik.

Alexander Jungkunz

E-Mail zur Autorenseite

14.1.2024, 15:55 Uhr
Eine Frau nimmt in Tel Aviv an einer Demonstration anlässlich des hundertsten Tages seit dem verheerenden Angriff der Hamas auf Israel teil. 

© Ilia Yefimovich, dpa Eine Frau nimmt in Tel Aviv an einer Demonstration anlässlich des hundertsten Tages seit dem verheerenden Angriff der Hamas auf Israel teil. 

Es war eine Zäsur - für viele ein Schock, ein Trauma, eine Katastrophe, für andere dagegen ein abartiger Grund zum Feiern: Am 7. Oktober 2023, vor hundert Tagen, überfielen Terroristen der Hamas Israel. Sie köpften, vergewaltigten, verbrannten Menschen vom Baby- bis zum Greisenalter, über 1200 Tote gab es, noch immer sind 136 Geiseln in ihrer Hand.

Es war der Hamas klar, wie Israel reagieren musste


Israels Unangreifbarkeit, seine Zusage, sicherer Hafen für alle Juden zu sein wurde aufs Brutalste verletzt. Und der Hamas war klar, wie das Land reagieren musste: massiv, mit voller Härte - und deren furchtbaren Folgen. Der Gazastreifen ist nun vollends die Hölle auf Erden. Verantwortlich für die neue Eskalation ist allein die Hamas. Sie nahm nicht nur Israelis in Geiselhaft, sondern auch die Menschen in Gaza


Weil Südafrika Israel angeklagt hat, befasst sich nun der Internationale Gerichtshof mit dem Vorwurf, die Regierung Netanjahu betreibe Völkermord. Wenig spricht für einen Erfolg der Klage. Möglich ist eine Mahnung aus Den Haag an Israel, noch mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen und sich zu mäßigen, auch in der Wortwahl.

Wer eine Friedenschance will, muss auf eine Abwahl Netanjahus hoffen

Darauf drängen die USA und andere Regierungen, auch Annalena Baerbock auf ihrer Pendeldiplomatie in Nahost. Netanjahus teils rechtsradikales Team leistete sich da mit Auslöschungsfantasien Unsägliches. Auf eine Abwahl dieser Regierung muss hoffen, wer auf den Hauch einer Friedenschance für die Region setzt.

Denn es braucht Diplomatie, Gespräche, Kontakte - und kühle Köpfe, die all das in einer von Hass getränkten Region wagen. Es braucht den Zusammenschluss aller, die dort Stabilität wollen statt Chaos und Gewalt. Die Destabilisierung im Mittleren Osten dürfte ein Ziel des Iran sein. Daher lässt er zu oder fördert, dass die Hamas weiter bombt, auch die Hisbollah - und die jemenitischen Huthis im Roten Meer. Alle drei agieren im Namen der Mullahs. Bisher will Teheran keinen großen Krieg, keinen Flächenbrand - weil die USA vor Ort präsent sind und eine Ausweitung auch für Iran brandgefährlich wäre. Ein Ziel Irans wäre der Rückzug der Amerikaner aus der Region. Deren Präsenz bleibt wichtig; dass sie nun mit der Bombardierung der Huthis eher Öl ins Feuer gossen, war hoffentlich nur ein Warnschuss.

Wertegeleite Außenpolitik? Nicht mehr

Im Minenfeld Nahost erleben wir zudem gerade die Abkehr von der angeblich wertegeleiteten hin zu einer macht- und interessengeleiteten deutschen Außenpolitik: Berlin billigt Waffenlieferungen an Saudi-Arabien - das empört viele, wofür es Gründe gibt: Das Land ist noch eine Diktatur, verletzt Menschenrechte. Aber es wandelt sich - und es will für seine eigene Zukunft Stabilität, es gehört zu den Partnern Israels und schützt den Staat vor Angriffen. Das ist der Hauptgrund für diese Zeitenwende der Außenpolitik - die sich erklären ließe, was die Regierung auch auf diesem Feld sträflich versäumt.

Verwandte Themen


1 Kommentar