Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu (l) und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orban unterhalten sich. Trotz eines internationalen Haftbefehls wird Netanjahu in Ungarn empfangen und hat nichts zu befürchten.
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Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu (l) und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orban unterhalten sich. Trotz eines internationalen Haftbefehls wird Netanjahu in Ungarn empfangen und hat nichts zu befürchten.

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Ungarn kehrt Strafgerichtshof den Rücken: Sind die Nürnberger Prinzipien bald Geschichte?

Gäbe es einen Stammtisch, an dem die Autokraten dieser Welt sich regelmäßig treffen, hätten sie Grund zum Jubeln. Donald Trump demonstriert der staunenden Öffentlichkeit Tag für Tag (der Mann ist erst 75 Tage im Amt!) wie er gedenkt, eine Demokratie von innen auszuhöhlen, Recep Tayyip Erdoğan zeigt in der Türkei, wie demokratische Konkurrenz aus dem Weg geräumt werden kann, und in Ungarn tritt Viktor Orbán aus dem Internationalen Strafgerichtshof aus.

Orbáns Schritt war geradezu konsequent, denn ansonsten wäre er womöglich in die Bredouille geraten. Schließlich stand der Staatsbesuch des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu an - und somit die Visite eines Mannes, gegen den eben jener Strafgerichtshof einen Haftbefehl erlassen hatte.

Von einer liberalen in eine illiberale Demokratie - und dann?

Ungarns Schritt war gewiss kein kurzfristig geplanter, vielmehr fügt sich diese Ohrfeige für die internationale Gerichtsbarkeit in eine Reihe von Maßnahmen, die Ungarns Entfremdung von EU-Standards dokumentieren. Historiker könnten in einigen Jahrzehnten auf die Budapester Geschehnisse verweisen, die geradezu exemplarisch für den Wandel von einer liberalen über eine illiberale Demokratie (da sind wir derzeit) und am Ende vielleicht zu einer Autokratie stehen können.

Denn eines ist klar: Modernes Völkerstrafrecht, wie es mit dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1945 erstmals zur Anwendung gekommen war, ist Populisten und Autokraten gleichermaßen ein Dorn im Auge. Warum, lässt sich leicht erklären: Am Ende müssten sie sich vielleicht selbst eines Tages vor dem Tribunal in Den Haag verantworten. Wer will dieses Risiko schon eingehen?

Denn genau diese grenzenlose Eigenverantwortung auch von Staats- und Regierungschefs zeichnet die Nürnberger Prinzipien aus. Es gibt eine höhere Instanz als nationales Recht, wenn es um um gravierende Verstöße geht. Das war die Botschaft der Nürnberger Prozesse. Nun ist das Dilemma des Internationalen Strafgerichtshofes sattsam bekannt: Dieses Gebilde lebt von der möglichst breiten Akzeptanz der Staatengemeinschaft. Davon ist das in Den Haag ansässige Gericht weiter denn je entfernt. Mit Ungarn gesellt sich nun erstmals auch ein EU-Land in die wachsende Phalanx der Anti-Völkerrechtsstaaten.

Würden wir in einer starken EU leben, wäre nun der Zeitpunkt für ein klares Signal gekommen: Denn wenn sich ein Mitglied von der Rechtstaatlichkeit verabschiedet, muss dies geahndet werden. Eigentlich. Doch Brüssel ist aller Voraussicht nach nicht stark genug, um klare Kante zu zeigen.

Die Autokraten werden sich die Augen reiben

So werden die Autokraten sich weiter die Augen reiben: So gut wie derzeit lief es schon lange nicht mehr. Und was macht Deutschland? Hat einen designierten Kanzler namens Friedrich Merz, der kurz nach der Bundestagswahl einen Besuch Netanjahus als möglich erachtet hat. Das mit dem Haftbefehl, so könnte der Subtext lauten, wird schon zu lösen sein. Nürnberger Prinzipien, ade!

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