
War es eine Intrige?
Vorwurf sexueller Belästigung: Karriere eines Berliner Politikers wurde übereilt ruiniert
Anfangs schien es nur eine lokale Berliner Geschichte, doch damit ist es längst vorbei. Die Affäre um den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar hat das Potenzial, ein bundesweites Nachdenken auszulösen. Denn die Ereignisse können sich jederzeit in ähnlicher Form überall im Lande wiederholen.
Worum geht es? Kurz vor der Aufstellung der Berliner Landesliste der Grünen für die Wahl wurden Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den Politiker laut - teils anonym, teils unter Namensnennung. Das reichte aus, Gelbhaar um alle seine Chancen auf einen Wiedereinzug in den Bundestag zu bringen. Für die Liste kandidierte er schon gar nicht mehr, obwohl er ursprünglich einen guten Platz hätte erreichen können. Und die Kandidatur für den Wahlkreis Pankow, den er 2021 direkt gewonnen hatte, wurde ihm wieder entzogen.
Vorwürfe teilweise erfunden
Nun stellt sich heraus, dass mindestens eine der Beschuldigungen offensichtlich erfunden wurde. Eine bei den Grünen gut vernetzte Frau (Bezirkspolitikerin, Mitarbeiterin in einem Abgeordnetenbüro) hatte unter falschem Namen angegeben, belästigt worden zu sein. Inzwischen ist sie von allen Ämtern zurückgetreten.
Noch sind nicht alle Vorwürfe geklärt, aber der Wegfall eines wichtigen Gliedes in der "Beweiskette" deutet zumindest auf eine Intrige gegen den Politiker hin. Eine fatale Entwicklung - zum einen für Stefan Gelbhaar, der verzweifelt um seinen Ruf kämpft und auch schon Strafanzeige erstattet hat, zum anderen aber auch für all die echten Opfer sexueller Belästigungen, denen solche erfundenen Beschuldigungen massiv schaden.
Was ist zu tun? Die Politik, aber auch alle anderen gesellschaftlichen Institutionen, müssen Mechanismen entwickeln, die verhindern, dass bereits Beschuldigungen ausreichen, einen angeblichen Täter um seine berufliche Existenz zu bringen. Im konkreten Fall hätte vor allem der Zeitpunkt der Vorwürfe die Verantwortlichen skeptisch machen müssen.
Ein Einzelfall ist Gelbhaar nicht. Erinnert sei an Arif Tasdelen, den aus Nürnberg stammenden Generalsekretär der bayerischen SPD, dem 2022 "unangemessenes" Verhalten gegenüber zwei jungen Parteifreundinnen vorgehalten worden war. Eine interne Kontrollkommission kam später zu dem Ergebnis, es seien keine weiteren Maßnahmen gegen ihn "erforderlich". Tasdelen war da bereits als Generalsekretär zurückgetreten.
Die Unschuldsvermutung, eines der Grundprinzipien des rechtsstaatlichen Verfahrens, scheint in der Politik ausgehebelt zu sein. Oft reichen bloße Beschuldigungen, einen Akteur zu ruinieren. Es müsste den Parteien zumindest gelingen, den Status des Betroffenen zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Vorwürfe "einzufrieren" und erst nach der Klärung abschließend zu entscheiden.
Dazu gehört aber auch eine Öffentlichkeit, die nicht sofort den Stab über den Beschuldigten bricht, sondern die Geduld aufbringt, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten. So schwer das manchen auch fallen mag.
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