Countdown zum Krieg im Nahen Osten

Warum der iranische Angriff auf Israel einen Tabubruch darstellt

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

E-Mail zur Autorenseite

14.4.2024, 15:22 Uhr
Ein iranischer Geistlicher skandiert Slogans während einer anti-israelischen Versammlung in Teheran.

© Vahid Salemi/dpa Ein iranischer Geistlicher skandiert Slogans während einer anti-israelischen Versammlung in Teheran.

Seit mehr als 40 Jahren stehen sich Israel und der Iran in tiefer Feindschaft gegenüber. Provokationen sind an der Tagesordnung. Im Herzen von Teheran tickt beispielsweise ein Countdown, an dessen Ende, so die Prognose des Mullah-Regimes, der Staat Israel ausgelöscht sein sollte.

Soweit das Tagesgeschäft, mit dem sich offenbar alle Beteiligten, westliche Großmächte inklusive, irgendwie arrangiert haben. Denn nach wie vor werden munter Geschäfte mit dem Iran getätigt. Auch Deutschland handelt mit Teheran. Selbstverständlich bei gleichzeitiger Zusicherung ungebrochener Solidarität mit Israel.

Deutschlands Außenpolitik gegenüber dem Iran ist in Teilen verlogen

Diese - ohne allzu viel Skrupel als in Teilen verlogen zu bezeichnende - Außenpolitik stößt nun an ihre Grenzen. Denn der Raketenangriff Teherans auf Israel markiert einen Tabubruch. Dass Ali Chamenei nach der israelischen Attacke auf die iranische Botschaft in Damaskus, bei der unter anderem iranische Generäle ums Leben kamen, reagieren musste, war klar. Wie er es getan hat, das ist neu und bedrohlich zugleich.

Zu erwarten wäre eine indirekte Antwort gewesen. Eine der vom Iran gesteuerten Milizen, etwa die Hisbollah oder die Huthi, hätte Israel attackieren können. Das wäre "Business as usual" im Nahostkonflikt gewesen und somit bald zu den Akten gelegt worden.

Davon kann nun nicht die Rede sein. Jerusalem wird den Abschuss von 300 Raketen nicht unerwidert lassen können. Die Kriegslogik lässt das nicht zu - auch wenn kaum Schaden entstanden ist.

Das Perfide an dieser Lage: Womöglich hat Premier Benjamin Netanjahu genau diese Situation herbeibeschwören wollen. Innenpolitisch steht er schwer unter Druck, auch nach sechs Monaten ist der Sieg gegen die Hamas nicht in Reichweite, nach wie vor werden weit über 100 Geiseln im Tunnelsystem der Terroristen im Gazastreifen vermutet. Netanjahus Rücktritt schien eine Frage der Zeit zu sein.

Aufschub für Benjamin Netanjahu

Ein Angriff des Erzfeindes könnte da durchaus für Aufschub sorgen. Denn nun richtet sich der Fokus der Streitkräfte und der Verbündeten Israels auf eine noch größere Sache. Seine Verbündeten bringt Netanjahu damit in eine brenzlige Lage. Zwar haben die USA, Großbritannien und Co. ihre Nibelungentreue betont, doch Interesse an einer Eskalation in Nahost hat niemand.

Netanjahu selbst dürfte das reichlich egal sein. Er bereitet mit seinen Militärs wahrscheinlich den Gegenschlag vor, frei nach dem Motto: bloß keine Schwäche zeigen.

Was heißt das für den Westen? Keiner muss diese krude Logik, die im Nahen und Mittleren Osten vorherrscht, für gutheißen. Doch jeder sollte gewarnt sein. Der Konflikt droht eine neue Eskalationsstufe zu erreichen. Eine, die niemand sich wünscht. Noch tickt der Countdown, allzu viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr, um eine diplomatische Lösung zu erreichen. Ein "Weiter so" im Umgang mit Teheran verbietet sich jedoch.

Keine Kommentare