
Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Wehyern
Warum es beim dritten Mal funktioniert hat mit der Demokratie
Aller guten Dinge sind drei. Nach 1848 und 1919 ist es im dritten Anlauf gelungen: Eine deutsche Verfassung, die sich schon 75 Jahre bewährt. Wenige Jahre nach dem befreienden Zusammenbruch hat sich das deutsche Volk „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen … dieses Grundgesetz gegeben.“ (Präambel GG)
Vom Kopf auf die Füße gestellt
Zwei Fragen bewegen mich im Vorfeld dieses Geburtstages besonders: Warum hat es dieses Mal funktioniert? Und: Was ist dabei die Rolle der Kirchen? Das Vertrauen allein in die formalen Regeln der Demokratie war gescheitert. Mit dieser Erfahrung haben die Väter und wenigen Mütter unseres Grundgesetzes den normalen Aufbau einer Verfassung vom Kopf auf die Füße gestellt. Am Anfang steht gerade nicht die Frage, wie werden wir regiert, sondern was sind unsere Grundwerte? Das beeindruckt mich sehr.
Es wurde gerungen darum. Intensiv. Kontrovers. Aber mit einer großen gemeinsamen Zustimmung zur Sache selbst: Es soll Raum für die Freiheit werden, gepaart mit Verantwortung und das mit demokratischen Regeln. Deshalb die Präambel mit der Einschärfung der Verantwortung; deshalb der erste Artikel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“; deshalb der darauffolgende Katalog der Menschen- und Grundrechte zu Beginn und nicht als Anhang. Denn die Würde kann sich nicht selbst verteidigen. Sie ist angewiesen auf die Anerkennung und notfalls Verteidigung durch die jeweils Anderen; durch uns. Das ist die bittere Erfahrung aus dunklen Zeiten und auch heute.
Tandem aus Grundgesetz und Verfassungsgericht
Den anderen Teil des Erfolgsgeheimnisses finde ich in Karlsruhe: das Bundesverfassungsgericht. Es sorgt dafür, dass der Geist unseres Grundgesetzes in Verantwortung vor dem errungenen Wortlaut lebendig bleibt; gerade auch in Herausforderungen, von denen damals noch niemand etwas wissen konnte. Aus meiner Sicht garantiert gerade dieses Tandem aus Grundgesetz und unabhängigem Verfassungsgericht Verlässlichkeit und lebendige Aktualität.
Das Grundgesetz garantiert uns die Freiheit, unseren Auftrag als Kirchen zu erfüllen. Unsere Orte dafür finden wir an der Seite von Menschen, die Unterstützung brauchen für ihre Teilhabe an der Gesellschaft in Diakonie und Caritas; wir finden sie in staatlichen und eigenen Bildungseinrichtungen mit unserem Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung, auf der Straße, im Gesicht Zeichen für Freiheit und Verantwortung, gegen jede Form von Populismus und Extremismus, und natürlich in den Gebäuden, in unseren Kirchen. An all diesen Orten können Menschen Erfahrungen machen mit der Befreiung aus der Herrschaft der Existenzängste; Erfahrungen machen mit der guten Nachricht von der liebenden Anerkennung als Urgrund unserer Würde.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen