Der Kreis schließt sich

Warum viele Querdenker nun Russlands Kriegspropaganda verbreiten

Christian Urban

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27.3.2022, 05:52 Uhr
Teilnehmer der Protestaktion gegen die Corona-Schutzmaßnahmen halten am 21. Februar in Schwerin ein Schild mit der Aufschrift "Hände weg von Russland".

© Jens Büttner, dpa Teilnehmer der Protestaktion gegen die Corona-Schutzmaßnahmen halten am 21. Februar in Schwerin ein Schild mit der Aufschrift "Hände weg von Russland".

Michael Wendler hat eine neue Mission. War der ehemalige Schlagersänger in der Zeit der Pandemie vor allem durch krude Corona-Verschwörungsmärchen und KZ-Vergleiche aufgefallen und deswegen unter anderem aus der Jury von "Deutschland sucht den Superstar" geworfen worden, wechselte er am 1. März ins Feld der Außenpolitik und erklärte seinen Telegram-Followern seine Sichtweise dessen, was in der Ukraine gerade passiert.

Der "angebliche Krieg" sei nur Ablenkung und Putin der Sündenbock für alles, was kommt - darunter die "Energiekrise", "Digitalgeld" und (natürlich) die "Fake Pandemie", schrieb Wendler. Dass er keinerlei Beweise für seine Behauptungen lieferte, überrascht kaum. Wesentlich interessanter ist allerdings die Tatsache, dass der Coronaleugner Wendler plötzlich Putin zur Seite springt und beileibe nicht der einzige prominente Verschwörungserzähler ist, der das tut.

Auch Bodo Schiffmann, HNO-Arzt und eine der Galionsfiguren der deutschen Querdenker, präsentierte sich beispielsweise Anfang März als selbsternannter Ukraine-Experte und verstieg sich in einer regelrechten Wutrede, die unter anderem als Video auf Twitter kursiert, zu Aussagen wie "es gibt die Ukraine gar nicht" oder Deutschland sei in dem Konflikt "Kriegstreiber Nr. 1". Die ukrainischen Gebrüder Klitschko bezeichnete er darüber hinaus als Verbrecher, die Geld für US-Präsident Joe Biden und seinen Sohn Hunter gewaschen hätten.

So verrückt all diese Äußerungen auch klingen mögen - verglichen mit anderen Ukraine-Verschwörungsmythen sind Aussagen wie die von Schiffmann oder Wendler geradezu bodenständig: In diversen Querdenker-Gruppen kursiert mittlerweile die Erzählung, Russland habe die Ukraine nur angegriffen, weil die USA dort in Biowaffen-Labors die nächste Pandemie heranzüchten wollten. Oder eine andere Variante: Der Krieg findet gar nicht statt. Stattdessen handelt es sich einfach nur um eine Inszenierung der globalen "Mainstream-Medien", um von der Corona-Pandemie und den staatlichen Schutzmaßnahmen abzulenken.

Dass die Szene plötzlich ihr Herz für Putin entdeckt hat, mag zunächst überraschend wirken, doch viele Akteure des harten Kerns waren bereits lange vor dem Beginn der Pandemie stark mit Russland verbunden. Sichtbar wurde das erstmals im März 2014, als in diversen Städten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz plötzlich montags "Mahnwachen für den Frieden" stattfanden.

Anlass war die Verschärfung des Konflikts zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine, die am 18. April 2014 schließlich in die russische Annexion der Halbinsel Krim mündete - und nach Darstellung der Organisatoren ging es um nicht weniger als die Verhinderung des dritten Weltkriegs. Die Realität sah allerdings anders aus.

Zweck der vermeintlichen Mahnwachen war primär die - heute seltsam vertraut klingende - Verbreitung der russischen Sichtweise auf den Ukraine-Konflikt: Präsident Wladimir Putin reagiere lediglich auf die Aggression des Westens und habe die Krim gewissermaßen aus Notwehr heraus annektiert. Darüber hinaus hetzte die Bewegung gegen die US-Regierung, die US-amerikanische Zentralbank, jüdische Bankiersfamilien wie die Rothschilds, die Nato und die Presse, die im Rahmen dieser Kundgebungen erstmals ganz offen als "Lügenpresse" bezeichnet wurde.

Ähnlich wie heute bei Querdenker-Demonstrationen versammelten sich bei den damaligen Kundgebungen zahlreiche Rechtsextremisten, Verschwörungsgläubige, Esoteriker, Reichsbürger und andere Anhängern "alternativer Fakten". Und auch einige Antreiber der aktuellen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen waren bereits damals mit dabei: Der ehemalige Radiomoderator Ken Jebsen trat beispielsweise ebenso als Redner auf wie Jürgen Elsässer, Chefredakteur des 2021 vom Verfassungsschutz in Brandenburg als "gesichert extremistisch" eingestuften Magazins "Compact".

Trotz hoher Lautstärke in den sozialen Medien blieben die "Montagsmahnwachen" allerdings nur eine Randerscheinung. Das nächste Vehikel für die bereits genannten Verschwörungserzählungen - die fremden- und islamfeindlichen Pegida-Aufmärsche - bekam dann schon deutlich mehr Aufmerksamkeit, bis es schließlich im Zuge der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen gelang, die Verschwörungsmärchen über die Lügenmedien und die großen Weltverschwörungen auch in den Köpfen von Menschen zu platzieren, die für derartige Propaganda vorher nicht unbedingt empfänglich waren.

Ermöglicht haben all das auch die russischen Propagandasender RT und Sputnik. Besonders die Beiträge des 2005 vom russischen Staat gegründeten und finanzierten Auslandsfernsehprogramms RT gehörten bereits von Beginn an zum Social-Media-Repertoire der "Montagsmahnwachen" und sind bis heute fester Bestandteil der Medien, die in der Verschwörungsszene besonders eifrig konsumiert und geteilt werden.

Dass die Reichweite der beiden Sender in den vergangenen Wochen und Monaten - beispielsweise durch die Sperrung ihrer Kanäle auf dem Videoportal YouTube - eingeschränkt wurde, mag die Verbreitung ihrer Botschaften etwas behindern, spielt den Senden aber auch wieder in die Karten: Die Mär von der Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Selbstdarstellung als Kämpfer gegen die Unterdrückung vermeintlich missliebiger Standpunkte schwang schon immer bei zahlreichen Beiträgen mit, wodurch sie sich nun als Opfer staatlicher Unterdrückung präsentieren und damit den klassischen Querdenker-Narrativ weiter bedienen können.

Angesichts dieser Tatsache ist es nicht überraschend, dass nun, seit sich die russischen Propagandasender in ihrer Berichterstattung primär auf die Darstellung der russischen Darstellung des Angriffskriegs auf die Ukraine konzentrieren, diese Botschaften auch unter den deutschen Verschwörungsfreunden eifrig verbreitet werden. Schließlich bewegen sich diese Menschen teilweise seit Jahren in einer Welt, in der der feste Glaube daran, dass sie von staatlichen Stellen und den herkömmlichen Medien permanent belogen und betrogen werden, gewissermaßen zur Grundausstattung gehört.

Darüber hinaus zeigen aktuelle Studien, dass Menschen, die an Verschwörungen glauben und Politik und Presse stark misstrauen, auch anfälliger für die russische Propaganda sind. Ein Prozess, der kaum umkehrbar ist: Auch Faktenchecks gängiger Verschwörungsmythen laufen bei solchen Menschen häufig ins Leere, da diese Checks im Normalfall von Medien und Wissenschaft durchgeführt werden, die wiederum Teile des "Systems" sind und daher automatisch lügen. Ein dankbareres Publikum für Putins Botschaft von der vermeintlichen Befreiung und Entnazifizierung der Ukraine lässt sich kaum finden.