
Kommentar
Wenn Friedrich Merz und die Jusos gemeinsame Sache machen, wird es gefährlich
Die Jusos werden ihrem Ruf gerecht: Hauptsache, dagegen sein, mit dem stets gleichen Argument, die reine Lehre sieht diesen oder jenen Kompromiss nicht vor. Wenn innerhalb der SPD auf etwas Verlass ist, dann auf die Nachwuchsorganisation. Mit einer bemerkenswerten Chuzpe werben Juso-Funktionäre, allen voran der Bundesvorsitzende Philipp Türmer, vor dem Basisentscheid der Genossinnen und Genossen für ein Nein zum soeben verhandelten Koalitionsvertrag.
Nun wäre diese Meldung in normalen Zeiten allenfalls eine Randnotiz, wenige Wochen vor der geplanten Wahl von Friedrich Merz zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik lässt sie dennoch aufhorchen. Weniger wegen des Starrsinns der Jusos, vielmehr wegen des Verhaltens des designierten Regierungschefs. Denn die SPD-Mitglieder werden von links (Jusos) und rechts (Merz) geradezu bestärkt, ihre Entscheidung genau abzuwägen., um vielleicht am Ende doch mit einem Nein zu votieren...
Der Sauerländer gießt - unabsichtlich oder bewusst - Öl ins Feuer
Denn der Sauerländer Merz gießt - unabsichtlich oder bewusst - Öl ins Feuer. Indem er öffentlich die für die DNA vieler Sozialdemokraten essentiellen Wegmarken des Bündnisses in Frage stellt: die Anhebung des Mindestlohns und die Entlastung niedriger Einkommen. In einem Interview zu beiden Punkten befragt, tat Merz nicht das, was klug gewesen wäre (nichts Konkretes sagen), sondern äußerte Zweifel. Schließlich stehe alles unter Finanzierungsvorbehalt.
Diese Aussage ist nicht falsch, aber halt maximal ungeschickt. Die Empörungswelle, die über Teile der SPD schwappt, sollte jedenfalls im Konrad-Adenauer-Haus keine Verwunderung auslösen. Nur mal so zur besseren Veranschaulichung: Wie würden Unionsvertreter reagieren, wenn Saskia Esken oder Lars Klingbeil öffentlich Zweifel am harten Migrationskurs äußern würden, einem für CDU und CSU zentralen Vorhaben?
Merz sägt somit ein bisschen an dem Ast, auf dem er eigentlich vier Jahre lang sitzen möchte. Man mag sich damit trösten, dass die SPD-Mitglieder in der Vergangenheit traditionell staatstragend abgestimmt haben, In dubio pro Gemeinwohl, könnte man dieses respektable Verhalten übersetzen. So dürfte es auch dieses Mal kommen.
Dennoch bleibt eine leichte Ungewissheit: Was wäre, wenn die Stimmung kippt? Die Antwort darauf ist ebenso banal wie gefährlich. Dann hätten wir über Nacht österreichische Verhältnisse in Deutschland. Dort waren drei Parteien (ÖVP, SPÖ und Neos) auf Schlingerkurs unterwegs - ihre erste Verhandlungsrunde nach den Nationalratswahlen endete ergebnislos.
Ein Hauch von Österreich
Beinahe wäre als Kollateralschaden dieses Scheiterns der selbsternannte „Volkskanzler“ Herbert Kickl von den Freiheitlichen an die Macht gekommen. Ein derartiges Spiel mit dem Feuer kann sich in Berlin niemand leisten, Friedrich Merz sollte das eigentlich wissen, die Jusos im Übrigen auch.
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