Riskante Entwicklung

Wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit -aber die Politik ignoriert alle Vorschläge dazu.

Alexander Jungkunz

Chefpublizist

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11.9.2024, 18:55 Uhr
Die Zahl der Superreichen wächst in Deutschland: Ein Kellner schenkt ein Glas Champagner ein.

© Hannes P Albert/Hannes P. Albert/dpa Die Zahl der Superreichen wächst in Deutschland: Ein Kellner schenkt ein Glas Champagner ein.

Dieser Job-Wechsel machte Schlagzeilen: Im April gab Anne Brorhilker, bisher Oberstaatsanwältin in Köln und so etwas wie die deutsche Chef-Ermittlerin bei den Cum-Ex- und Cum-Cum-Steuerskandalen, diesen Posten auf - weil sie zu wenig Rückhalt bei der Politik spürte. Sie ist nun für "Finanzwende" tätig - eine Organisation, die für mehr Steuergerechtigkeit kämpft.

Eine Personalie, die schlaglichtartig belegt, was alles schiefläuft im deutschen Steuersystem. Denn die energische Ermittlerin war am Ende ohnmächtig: Sie musste feststellen, dass die Politik - und zwar quer durch fast alle Parteien - offensichtliche Missstände nicht beheben will, sondern sie hinnimmt, obwohl der öffentlichen Hand dadurch Jahr für Jahr viele Milliarden entgehen.

Anne Brorhilker hat nun, auf ihrem neuen Posten, mehr Möglichkeiten, solche Missstände klarer zu benennen. Und sie muss erneut registrieren: Es geschieht viel zu wenig bis nichts.

Ein paar Beispiele: Seit vielen, vielen Jahren wird der viel zu seltene Einsatz von (oft dazu noch sehr wenigen) Betriebsprüfern beklagt. Manche Firmen bekommen nur einmal im Jahrzehnt Besuch. Dabei ist bekannt, dass jeder Prüfer im Schnitt rund eine Million Euro pro Jahr erwirtschaftet - die Arbeit macht sich also mehr als bezahlt.

"Brauchen Sie eine Rechnung?"

Stattdessen ist zu erleben, wie es zusehends in Mode kommt, auf Belege und Quittungen zu verzichten. Hinter der Frage "Brauchen Sie eine Rechnung?" steckt aber eben nicht selten die fast schon offizielle Steuerhinterziehung.

Brorhilker bestätigt auch aus eigener Erfahrung, dass dieser alte Spruch leider stimmt: Die Großen lässt man laufen, die Kleinen hängt man. Gerade bei Cum-Ex und Cum-Cum erlebte sie das hautnah. Insgesamt 40 Milliarden Euro entgingen dem Staat durch diesen organisierten Großbetrug. Mit dabei in einer skandalösen Nebenrolle: der Bundeskanzler dieser Republik, der sich auf Erinnerungslücken beruft.

Die Ex-Staatsanwältin kämpft nun einen Kampf gegen weit mächtigere Verbände: gegen die Finanzlobby, die mit sehr viel Geld und durchaus mit Erfolg verhindert, dass Steuerlücken geschlossen werden und Steuermissbrauch ernsthaft ins Visier genommen wird. Die größten Vermögen in Deutschland werden niedriger besteuert als kleinere: eine Tatsache, die als verfassungswidrig kritisiert wurde - aber Bestand hat, weil da Interessen mit aller Macht verteidigt werden.

Über Missbrauch beim Bürgergeld oder von Sozialleistungen - natürlich ebenfalls nicht akzeptabel - wird erbittert gestritten. Der viel kostspieligere Verzicht des Staates auf mögliche Steuereinnahmen dagegen sorgt kaum für Protest; man hat sich irgendwie damit abgefunden.

Eine "Finanzwende", wie sie Brorhilker und ihr Verband schon mit dessen Namen fordern, ist nicht ansatzweise in Sicht. Weil die Arbeit der Finanzlobby wirkt: Steuerhinterziehung etwa gilt als Kavaliersdelikt. Es braucht noch viele Brorhilkers, bis sich wirklich etwas tut.

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