
Die "Isla Thälmann"
Deutsche Spuren auf Kuba: Bei E-Bike-Touren durch Havanna sind Sie plötzlich in der DDR
Dieser Balkon ist wie eine Theaterloge: Rechts ein großer Verkehrskreisel, zur Rushhour brummendes XXL-Karussell aus flirrenden Scheinwerferkegeln. Geradeaus in der Ferne: Havannas Festung, davor ein kleiner Park. Hier steigen abends ausgelassene Salsa-Parties, morgens schwitzen Schüler bei Kniebeugen, kommandiert vom trillerpfeifenden Lehrer. All das beäugten in Kubas Hauptstadt bis 1990 deutsche Beamte – vom Logen-Balkon. Er gehörte zum DDR-Konsulat, ist heute der wohl schönste Frühstücksplatz Havannas - als Teil einer "Casa Particular", eines gepflegten, Zwei-Zimmer-Gäste-Apartments. Reina Muro hat es 2011 im Zentrum eingerichtet, als Raúl Castro Privat-Unterkünfte zuließ. Die 65-jährige Funktionärin einer Frauen-Organisation schwärmt trotzdem mehr für Rauls Bruder und Staatschef-Vorgänger Fidel Castro, zeigt stolz ihre Fotos mit ihm. Und preist ihr supersicheres Casa Türschloss – eingebaut von DDR-Beamten. Nicht die letzte deutsche Spur dieser Kuba-Reise…
Eine tägliche hinterlässt Martin Staub - mit E-Bike-Touren. Die durch Havanna rollt vorbei an der mit UNESCO-Millionen restaurierten Altstadt. Pastellfarbene Fassaden, säulenbewehrte Zuckerbaron-Paläste und akkurat begrünte Parks – solche Touristentrauben-Spots streift der 64-jährige Saarbrücker meist nur, radelt mit seiner heute achtköpfigen Pedal-Karawane lieber durch ungeschminkte Teile der 2.2-Millionen-Metropole: im Schlagloch-Slalom vorbei an Warteschlangen vor "Klopapierfachgeschäften" - Spitzname für Läden mit karger sozialistischer Auswahl. Weiter zu Graffiti der Künstlerin Michel Marabal und dann entlang kariöser Hauseingänge, die hüfthoch Schutt zu erbrechen scheinen. Dann Stopp neben Che Guevaras verwittertem Wandbild: Davor viertelt ein alter Mann einen Fisch, den er – soeben erstanden – nun lauthals feilbietet, offenbar einige Pesos Gewinn erhoffend.

Unglücklich oder bitterarm scheinen die Menschen hier nicht, im schmuddeligen Gassengewirr – niemand bettelt die Radlergruppe an, einige tanzen spontan zu Mambo und Rumba aus Martins baumelnder Beatbox. Nächster Stopp: eine grüne Mini-Oase mit Sitzbänken unter Palmen, kickenden Jungs in Bayern-München-Trikots und zwei Büsten auf Stein-Stelen. Die erste zeigt Naturforscher Johannes Gundlach. Der Marburger entdeckte 1844 auf Kuba den Hummel-Kolibri, mit fünf bis sieben Zentimetern kleinster Vogel der Welt. Einer saust gerade am Ohr vorbei, brummend wie eine dicke Fliege. Büste Nummer zwei: Alexander von Humboldt – nach Kolumbus - verehrt als zweiter Insel-Entdecker, weil er Kubas Lage exakt berechnete und die Sklaverei der spanischen Besatzer verurteilte.
Cienfuegos - die schönste Stadt Kubas
Wieder werden die Radler von einem MZ-Motorrad überholt. Mehr als 10.000 davon – aus DDR-Produktion - knattern über Kubas Straßen, werden für etwa 12.000 Dollar gehandelt. Runter vom E-Bike, rein in einen Oldtimer! Wohl nirgendwo kurven so viele Buicks, Pontiacs und Cadillacs in pink, metallicblau oder pfirsichfarben durch die Straßen wie auf Kuba. Franks apfelgrüner Chevy ist Baujahr 1949. Wie einst sein Opa gondelt der 28-Jährige heute darin Gäste über die Insel. Mit nachträglich eingebauten Hyundai-Motor und Mitsubishi-Getriebe schaukelt der Chevy erstaunlich bequem über 230 Kilometer ausgemergelten Asphalt nach Cienfuegos, die vielleicht schönste Stadt Kubas. Durch Kolonaden-gesäumte Avenidas und das klassizistisch anmutende Zentrum mit Mini-Triumphbogen geht's zur kleinen Marina.

Hier starten Segeltörns in den smaragdgrünen Golf von Cazones zu nahezu unberührten Inseln. Eine davon ist quasi deutsch. Isla Ernesto Thälmann heißt sie, getauft von Fidel Castro auf den Namen des deutschen Kommunisten Ernst Thälmann. Am 19. Juni 1972 landet Castro zum Staatsbesuch in Ost-Berlin, bekommt einen riesigen Plüsch-Bären und überreicht Erich Honecker sowie der DDR dann sein Gastgeschenk: die Thälmann-Insel - 15 Kilometer lang, 500 Meter breit, komplett menschenleer. Das bleibt auch so, denn die allermeisten DDR-Bürger dürfen ja nicht hinreisen zum "Playa RDA" – dem Strand der DDR, von Fidel eigens umbenannt. Also schicken die Kubaner wenigstens Thälmann auf seine Insel – als vier Meter hohe Statue, feierlich enthüllt in Gegenwart einer Strohhut tragenden, teils pitschnassen, teils sehr seekranken DDR-Delegation.
Dieser Betonkopf, das wohl einsamste Denkmal der Welt, wird 1998 von Hurrikan "Mitch" umgeweht und ist seitdem ganz versunken, sagt Skipper Omar Alvarez Morales. Er steuert die Isla Thälmann regelmäßig an, zeigt Fotos mit pulverigen, piniengesäumten Stränden, Mangroven an Gin-klarem Wasser und erzählt, wie seine Gäste dort wilde Leguane beobachten. Aber, wem gehört dieses Paradies eigentlich? Eine Insel, der DDR geschenkt, müsste doch infolge der Wiedervereinigung gesamtdeutscher Boden sein, jubelten findige Journalisten 2001, fragten das Auswärtige Amt aber erst danach. Dessen Antwort: Nein, Fidels Mitbringsel für Erich war nur ein symbolischer Akt. Schade - auch um die schöne Schlagzeile: "17. Bundesland vor Kuba – Fidel schenkte uns eine Sonneninsel" - die vielleicht bedauerlichste Fakenachricht der jüngeren deutschen Geschichte.
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