Betroffene bitte melden

Auch in Nürnberg werden Missbrauchsvorwürfe gegen katholischen Pfarrer bekannt

Katrin Wiersch

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27.9.2022, 14:55 Uhr
Pfarrer Dieter S. war 36 Jahre in mehreren Gemeinden in Mittel- und Oberfranken tätig. Immer mehr Betroffene wenden sich an das Erzbistum Bamberg mit dem Vorwurf, dass sie der katholische Geistliche sexuell missbraucht haben soll.

© Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild Pfarrer Dieter S. war 36 Jahre in mehreren Gemeinden in Mittel- und Oberfranken tätig. Immer mehr Betroffene wenden sich an das Erzbistum Bamberg mit dem Vorwurf, dass sie der katholische Geistliche sexuell missbraucht haben soll.

Jahrzehntelang war ein katholischer Pfarrer in zahlreichen Gemeinden in Mittel- und Oberfranken tätig - obwohl bereits in den 1960-er Jahren Missbrauchsvorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Im Bistum Bamberg ist man nun um Schadensbegrenzung bemüht und erhebt in einer Pressemitteilung schwere Vorwürfe gegen die damalige Leitung.

"Nach den heutigen Richtlinien gab es schwere Versäumnisse durch die Bistumsleitung", sagt der amtierende Erzbischof Ludwig Schick. Auch wenn den Akten keine Hinweise auf strafrechtliche Schritte zu entnehmen seien, sei es aus heutiger Sicht unvorstellbar, dass ein Priester, dem solche Vorwürfe gemacht werden, nicht aus dem Dienst genommen und zumindest kirchenrechtlich bestraft wird, so der 73-Jährige. "Er hätte nach 1963 nicht mehr als Kaplan und Gemeindepfarrer eingesetzt werden dürfen", betont Schick.

Pfarrer Dieter S. starb 2005 und kann logischerweise nicht mehr strafrechtlich belangt werden für die inzwischen ans Tageslicht gekommenen Fälle. Doch nun ruft das Erzbistum alle Betroffenen auf, sich zu melden, um die Vorwürfe aufzuarbeiten. Pfarrer S. war von 1960 bis 1996 in acht verschiedenen Gemeinden in Mittel- und Oberfranken tätig. Nie war er länger als ein oder zwei Jahre in einer Gemeinde, bevor er erneut wechselte. Nur in Wallenfels im Landkreis Kronach war er 25 Jahre am Stück tätig.

Erste Missbrauchsvorwürfe in Nürnberg

Bereits 1963 wurden Missbrauchsvorwürfe gegen den Pfarrer erhoben. In der Zeit war er in der Kirche St. Georg in Nürnberg tätig. Betroffene hatten dem damaligen Weihbischof Johannes Lenhardt von sexuellen Annäherungsversuchen des Priesters während seiner Zeit als Kaplan berichtet. Er wurde daraufhin aus dem Dienst genommen. Zugleich wurde angeordnet, dass er sich zur Besinnung und Umkehr zuerst ins Kloster Niederalteich und dann in die Abtei Münsterschwarzach begeben müsse.

Für seine Vergehen in dieser Zeit schrieb Pfarrer S. zwei Entschuldigungsbriefe an Erzbischof Josef Schneider und Weihbischof Lenhardt. 1964 wurde seiner Bitte entsprochen, als Seelsorger nach Bolivien zu wechseln. Er war im Apostolischen Vikariat Ñuflo de Chávez tätig.

1969 kehrte er ins Erzbistum Bamberg zurück und war zuerst in den Pfarreien Weisendorf im Landkreis Erlangen-Höchstadt und Kirchehrenbach im Landkreis Forchheim tätig, bevor er 1970 zum Kaplan in Wallenfels im Landkreis Kronach ernannt wurde, wo er anschließend von 1972 bis 1995 Pfarrer war. 1995 wurde er zum Pfarrer in Uffenheim ernannt.

Am 22. Oktober 1996 verließ S. abrupt und ohne Mitteilung die Pfarrei wegen Unstimmigkeiten mit dem Pfarrgemeinderat und hinterließ einen Abschiedsbrief. Wenige Monate später meldete er sich aus Bolivien und wurde im Vikariat Ñuflo de Chávez tätig.

Im Jahr 1999 gab es erneut einen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. Die Überprüfung des Vorwurfs war schwierig, weil er nicht von einem Opfer kam und sich Pfarrer S. in Bolivien aufhielt. "Zwischen 1964 und 1999 sind keine Missbrauchsvorwürfe in den Akten des Bistums dokumentiert", schreibt das Erzbistum in seiner Pressemitteilung.

2003 versetzte Erzbischof Schick den inzwischen 70-Jährigen regulär in den Ruhestand. Bis zu seinem Tod am 8. Mai 2005 hielt S. sich erneut in Wallenfels auf.

Tagebücher belasten Pfarrer erheblich

Neue Brisanz erhält der Fall, weil im April 2022 aus einem Privatbesitz Nachlassakten des Priesters dem Diözesanarchiv übergeben wurden. In diesen finden sich Tagebuchaufzeichnungen, aus denen Missbrauch von Jugendlichen hervorgeht.

Laut Georg Kestel, Generalvikar des Erzbistums Bambergs, soll die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle mit aller Kraft betrieben werden. Als bereits ab dem Jahr 2005 nach dem Tod des Beschuldigten erste Vorwürfe durch die Meldung von Betroffenen bekannt geworden waren, habe die Erzdiözese Bamberg nach den bischöflichen Richtlinien gehandelt und entsprechende Anerkennungszahlungen geleistet. Auch Therapiekosten seien übernommen worden. Den Betroffenen solle soweit wie möglich Gerechtigkeit widerfahren, so Kestel. Auch in den Fällen, die künftig noch ans Tageslicht kommen sollten, können Therapiekosten übernommen werden.


Hier finden Betroffene Ansprechpartner

Zusätzlich zu den bisher fünf dem Erzbistum bekannten Betroffenen haben sich nach dem ersten Aufruf vergangene Woche inzwischen drei weitere Betroffene gemeldet. Das Erzbistum erneuerte seinen Aufruf an Betroffene aus allen Einsatzorten von Pfarrer S. (Oberkotzau 1960, Hersbruck 1960/61, Nürnberg St. Georg 1962-64, Mainroth 1964, Weisendorf 1969, Kirchehrenbach 1970, Wallenfels 1970-1995, Uffenheim 1995-1996), sich zu melden bei der Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums Bamberg, Rechtsanwältin Eva Hastenteufel-Knörr, Telefon 0951/40735525, E-Mail eva.hastenteufel@kanzlei-hastenteufel.de. Weiterer Ansprechpartner ist der frühere Oberstaatsanwalt Joseph Düsel, Telefon 0951/15337, E-Mail j.duesel@web.de. Der Betroffenenbeirat ist über die Homepage www.bb-bamberg.de erreichbar. Auch an die beiden Diözesen in Bolivien wurde der Aufruf gerichtet. "Erzbischof Ludwig Schick steht allen Betroffenen zu Gesprächen zur Verfügung", betont das Bistum in einer Pressemitteilung.

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