Podcast mit Jana Wiske

Ein WM-Boykott, der durchaus Sinn macht

Matthias Oberth

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16.11.2022, 18:46 Uhr

Die Fußball-WM in Katar boykottieren. Ja oder nein? Und wenn ja, wie kann ein solcher Boykott aussehen und was soll er bringen? Diese Fragen werden nicht nur in der Politik oder den Medien heftig diskutiert, sondern dürfte derzeit bei vielen fußballaffinen Menschen ein großes Thema sein. Jana Wiske ist selbst leidenschaftlicher Fußballfan, blickt aber auch aus wissenschaftlicher Sicht auf das Großereignis. Sie lehrt als Professorin am Lehrstuhl Ressortjournalismus der Hochschule Ansbach und beschäftigt sich als Expertin für Krisenkommunikation schon länger damit, welche Mechanismen in Krisen ineinandergreifen.

Die Welle der Boykottaufrufe, die derzeit durch die Republik schwappt, kommt für Jana Wiske keineswegs überraschend. "Der Protest ist tatsächlich gewachsen", sagt sie im Podcast "Horch amol" und erinnert an die Proteste nach der Bekanntgabe des WM-Austragungslands Katar im Jahr 2010. "Es war die schlechteste Bewerbung und Katar hat sich trotzdem durchgesetzt", meint Wiske, und es sei ein offenes Geheimnis, dass es bei der Vergabe nicht mit rechten Dingen zugegangen sei.

Fürsprecher in ganzen Welt

Aus Sicht der Professorin wurde zu diesem Zeitpunkt auch nicht recht daran geglaubt, dass diese WM tatsächlich in Katar stattfinden würde. Allerdings sei es den Katarern gelungen, das ganze System "Fußball" so zu durchdringen, dass es überall Fürsprecher für das Land gab. Als Beispiel kann der FC Bayern München gelten, der im Januar 2023 sein Trainingslager erneut in Katar abhalten wird. Oder der Fußballverein Paris St. Germain, in den die Katarer hunderte von Millionen Euro gesteckt haben. Oder der FC Barcelona, der sich über Jahre von Qatar Airways finanziell unterstützen ließ. Oder die Tatsache, dass ein katarischer Fernsehsender die Rechte an der Übertragung der Spiele der englischen Premier League besitzt.

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen und betrifft auch eine ganze Reihe weiterer Sportarten. Doch für Jana Wiske ist der Stellenwert einer Fußball-WM ein anderer. "Es gibt Sportverbände, die freuen sich, wenn sich überhaupt jemand für die Ausrichtung ihrer Wettkämpfe wirbt und sie etwas Geld bekommen", erläutert die Professorin den Unterschied. "Eine Fußball-WM will jeder", sagt Wiske und die Frage müsse erlaubt sein, warum den Zuschlag ein Land bekommt, bei dem so viel im Argen liegt - einmal abgesehen davon, dass die Spiele zunächst ja im Sommer bei rund 50 Grad Außentemperatur hätten stattfinden sollen.

Fußballbranche gleich Waffenbranche?

"Mir hat mal eine Insiderin gesagt, die Fußballbranche kommt gleich nach der Waffenbranche", so Wiske. Allerdings frage sie sich inzwischen, ob man damit der Waffenbranche "nicht unrecht tut". In ihren Augen kommt in Katar so viel zusammen, dass zumindest in Deutschland ein nicht unbedeutender Teil der Bevölkerung sagt: "Jetzt ist es einfach genug". Sie hält es parallel dazu dennoch für richtig, dass aus Katar berichtet wird. Ihr besonderer Respekt gilt dabei Thomas Hitzelsperger, der bislang als einziger Spieler aus dem deutschen Profifußball, der seine Homosexualität öffentlich gemacht hat und in der jetzigen Diskussion klar Stellung bezieht.

Das Licht der Öffentlichkeit, das wegen der Fußball-WM auf Katar gerichtet ist, dafür zu nutzen, um auf die Verletzung der Menschenrechte, die Missachtung von Frauenrechten oder den Umgang mit den Arbeitskräften, die ins Land gelockt wurden, zu richten, ist für Jana Wiske ein wichtiger Aspekt, der nicht außer Acht gelassen werden darf. Mitglieder von amnesty international haben gegenüber der Professorin schon die Befürchtung geäußert, dass die genannten Punkte nach der WM schnell wieder aus dem Fokus geraten werden. "Die Sichtbarkeit des Fußballs zu nutzen, um auf Missstände hinzuweisen", nennt Wiske deshalb auch eine Chance für diese Organisationen, um ihre Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit ins Gedächtnis zu rufen.

Boykott kann etwas bewirken

Doch kann ein Boykott der WM tatsächlich etwas bewirken? Jana Wiske meint, schon. "Wenn die Zuschauerzahlen tatsächlich zurückgehen, wenn das Merchandising, nicht so gekauft wird, wie es sonst gekauft wird, wenn sich Sponsoren zurückziehen, weil es für sie nicht mehr attraktiv genug ist, da erhöht sich der Druck auf einen Verband, wie die FIFA", ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Und als Fußballfan schiebt sie hinterher: Zwar bräuchte der Verband zunächst eine Generalsanierung, aber sie hat den Glauben daran nicht verloren, dass bei der nächsten Vergabe des WM-Gastgeberlands durch die Boykottmaßnahmen andere Maßstäbe angelegt werden als in der Vergangenheit.

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