Viele Sprachen spielen eine Rolle

Die Synagoge in Ermreuth ist bis heute ein Ort des Lernens

10.11.2021, 13:04 Uhr
Die Synagoge in Ermreuth ist bis heute ein Ort des Lernens

© Pauline Lindner

So verstanden die Juden die Synagoge - das Wort ist griechischer Herkunft - stets als Lernort; dort wo man die Thora, den Talmud und andere jüdische Schriften studierte. Und Lernort ist die Synagoge bis heute. Vielfältig ist das Angebot, das Kuratorin Rajaa Nadler anbietet. Sie lädt Klezmergruppen für Konzerte ein oder holt eine Rabbinerin für einen Vortrag über heutiges jüdisches Leben in der Region oder lässt Werke jüdischer Autoren vortragen.

Als jüngstes Projekt sind über die VHS Kochkurse in israelisch-orientalischer Küche dazugekommen. Die Küche Israels ist international, geprägt von den vielen, vielen Herkunftsländern seiner Bewohner. Man machte sich von vorneherein das zu Eigen, was das Land hervorbrachte und wie die Nachbarschaft kochte.

Leckere Gerichte

Hummus, das Kichererbsenmus mit Sesampaste, gilt fast als Nationalgericht; es kennt aber seit jeher die ganze Levante, also die östliche Mittelmeerregion. Nicht nur den jüdischen Speisegesetzen ist geschuldet, dass die israelische Küche von vegetarischen Gerichten dominiert wird. Nadler selbst war überrascht, wie gut die ausgewählten Rezepte ankamen.

"Die Besucher erleben die Vielfalt", sagt sie über ihre gesamte Aufgabe. Denn sie weiß, die meisten haben bei ihren Vorstellungen vom Judentum den Holocaust aus dem Geschichtsunterricht im Kopf. "Was man nur nebenbei lernt, kommt nicht ins Herz", warnt sie, die aus der Weltecke stammt, "in der der jüdische Glaube groß geworden" ist. Geboren ist die Sprachwissenschaftlerin in Lattakia in Syrien unweit der türkischen Grenze, einer Region, in der seit Jahrtausenden Menschen verschiedener Sprache und unterschiedlicher Religion zusammenleben.

Sie ist maronitische Christin und ist zuhause wie auch im Gottesdienst mit der aramäischen Sprache aufgewachsen. Aramäisch, da klickert es doch: Das ist die Sprache, die zur Zeit Jesu in Palästina gesprochen wurde. Nadler meint sogar, in der Sprache sei er vermutlich von Pontius Pilatus verhört worden. Das könnte aber genauso gut Griechisch gewesen sein. Beide waren damals die Verkehrssprachen an der östlichen Mittelmeerküste.

Wichtige Sprache

In Aramäisch sind aber auch viele bis heute gebräuchliche Gebete der Juden verfasst. "Nach dem Babylonischen Exil war das Hebräisch der Thora (fünf Bücher Mose oder Pentateuch) nur mehr Sprache des Tempels", erläutert Nadler den Sprachwechsel. Auch das Kaddisch der Juden, das Totengebet, eigentlich ein Lobpreis des Allerhöchsten, ist in dieser Sprache verfasst. Bis heute wird Aramäisch in hebräischen Buchstaben geschrieben; im Unterschied zu der kantigen in Israel gebräuchlichen Druckschrift - allerdings in der Kursivform.

Diese Vertrautheit mit Schrift und Sprache war es auch, die Nadler zu ihrer Aufgabe gebracht hat. Als postgraduierte Literatur- und Sprachwissenschaftlerin (für semitische Sprachen) erhielt sie ein Stipendium in Erlangen. Dort hatte ihr Arbeitsgebiet seinen Schwerpunkt auf dem Islam.

In der Zeit lernte sie ihren Mann kennen. Ihre Schwiegermutter Eleonora Nadler war damals Heimatpflegerin und zweite Vorsitzende des Neunkirchener Freundeskreis für Kunst und Kultur, der sich für den Erhalt des jüdischen Friedhofs und der Synagoge in Ermreuth einsetzte. In ihr hatte man gerade die Genisa entdeckt. Das ist ein abgelegener, geschützter Platz, an dem schadhaft gewordene religiöse Schriften sozusagen auf ewig ruhen dürfen. Man suchte nach Fachleuten, die diese Textfragmente und zerflederten Bücher lesen und inhaltlich deuten konnten. Trotz Kontakten zu jüdischen Kreisen und Universitäten fand sich niemand.

Die Feinheiten

Da sprach sie die Schwiegermutter an. "Spontan habe ich zugesagt, ohne zu ahnen, was auf mich zukommt." Zum Einlesen in die Grabinschriften hat sie nur einen Monat gebraucht, denn so vieles war ihr vertraut. Das kommt zum einen daher, dass die Sprachen Hebräisch, Aramäisch und Arabisch nahe verwandt sind, zum anderen drückt man durch die Buchstaben als solche nur die Konsonanten aus, für die Vokale werden außer in Israel heute und auf Grabsteinen winzige Zeichen an den Konsonanten geschrieben.

Ein Beispiel: Der Hund heißt im Arabischen alKalb, geschrieben werden die Zeichen für K, L und B; im Hebräischen heißt er haKelev, auch hier werden nur die Buchstaben K, L und B (für stimmloses V) geschrieben. "Und im Deutschen heißt es kläffen", fügt Nadler als Eselsbrücke hinzu.

Besondere Entdeckung

Dann aber stieß sie beim Bergen der Genisa-Schätze auf ein Schulbuch in hebräischer Schrift. Und da las sie dann: Morgengebet, buchstäblich die Konsonanten des deutschen Wortes. Auch das ist nicht so ungewöhnlich, war doch durch den Cheder, die jüdische religiöse Kleinkinderschule, jüdischen Kindern das hebräische Alphabet vertraut, und für den Setzer war es einfacher, auch für die erklärenden Texte die Lettern für die Gebete zu verwenden.

"Es ist mir ein Herzensanliegen, diese Verbindungen aufzuzeigen", sagt Nadler. Für sie bedeutet es, Frieden zu stiften, gerade durch Aufklärung und die richtige Vermittlung gemeinsamer Werte, um dadurch Missverständnisse abzubauen, die mangels Aufklärung entstanden seien, gerade wenn es um die Arbeit mit Schulklassen gehe. Ihre Vorgehensweise: "Zurück zu den Wurzeln, zur Entwicklung der Kulturkreise!"