
Partnerschaft wird 50
Frage der Austauschschüler aus Biscarrosse: „Wie weit ist Forchheim vom Meer entfernt?“
Lars Freund, Jahrgang 1973, nahm am Schüleraustausch des Herder- und des Ehrenbürg-Gymnasiums mit dem Collège in Biscarrosse teil und wurde Gründungsmitglied des Partnerschaftskomitees des Landkreises Forchheim. Bis heute unterhalten er und seine Eltern enge Beziehungen zu den Freunden in Biscarrosse:
“Eines Tages in der zehnten Klasse am Ehrenbürg-Gymnasium im Jahre 1989: Es kam die Einladung vom benachbarten Herder-Gymnasium, am dortigen Schüleraustausch teilzunehmen, es gäbe noch freie Plätze: Zwei Wochen an den Atlantik, 1450 Kilometer von Forchheim entfernt, irgendwie halb in den Pfingstferien. Klar, da muss ich mit.
Frage der Austauschschüler aus Biscarrosse: Wie weit ist Forchheim vom Meer entfernt?
Erste Briefkontakte entstanden mit den Correspondants: Sie fragten, wie weit denn Forchheim vom Meer entfernt liege und ob wir auch bodyboarden könnten. Aha.
Es versprach eine interessante Erfahrung zu werden, im Frühsommer die zweitägige Busreise in Angriff zu nehmen. Nach einer Besichtigung der Kathedrale von Reims, einer Übernachtung in einem Bett vom Typ „Hängematte“ in einer Jugendherberge in Evry bei Paris und dem obligatorischen Besuch eines Loire-Schlosses kamen wir in Biscarrosse an. Alle Häuser hatten keine Keller, die Eltern arbeiteten fast alle im örtlichen Raketenversuchszentrum, welch ein Schock für die pazifistische Grundstimmung an den Gymnasien der 80er Jahre.
Französischlehrer Reinhard und Susanne Heydenreich waren die perfekte Reiseleitung
In Biscarrosse war auch früh und abends warme Meeresluft und an einer alten Tankstelle namens „point chaud“ hingen wir abends mit den coolen Correspondants ab. Tagsüber brachen wir fast jeden Tag zu Ausflügen in die Umgebung auf, weil unsere Austauschschüler ja bis 17 Uhr Unterricht hatten und sich auf Zwischenprüfungen (brevet) zwischen collège und lycée vorbereiten mussten.
Wir rannten die Düne von Pyla rauf und runter, standen danach mit tropfnassen Hosen im Bus, fuhren in kleinen Nussschalen durch die Bucht von Arcachon oder besichtigten Bordeaux und ein Weingut, es ging per Zahnradbahn in die Pyrenäen und ins Baskenland. Eine perfekte Reiseleitung der erfahrenen Französischlehrer Reinhard und Susanne Heydenreich, die wir zusammen mit Busfahrer Dieter Kraus ins Herz geschlossen hatten.
Mit „Le Monde“ hat sich Lars Freund aufs Französisch-Abitur vorbereitet
Und klar, das Wochenende gehörte dem Besuch am Meer in Biscarrosse-Plage: Wie bei Baywatch liebten unsere Austauschschüler Sonne und Strand, flirteten mit den Mädchen und legten sich auf kleinen Surfbrettern in die 14 Grad kalten Wellen: Das war also Bodyboard!
Tagsüber versuchten wir dem französischen Lebensstil nachzueifern: Im Zeitschriftenladen kauften wir detaillierte Michelin-Karten für 7 Francs (das Google Maps der 90er), im Café tranken wir eine Orangina, und lasen „Le Monde“, um uns für das Französisch-Abitur vorzubereiten: Das kannten wir von den französischen Austauschschülern beim Gegenbesuch nicht, die sah man nie im Zeitschriftenladen.
Vierzehn Tage überlebt - ohne WhatsApp und Statusbilder für die Eltern zuhause
Der Bürgermeister von Biscarrosse empfing uns und ich durfte die Rede halten, um ihm einen Bocksbeutel zu überreichen (diese Flaschen passen übrigens nicht in französische Altglascontainer), und so schafften wir es in die Lokalzeitung. Ja, selbst in den Schulbüchern tauchten wir auf: Die französischen Lehrer Jean-Claude Harband und Dominique Lafargue waren Schulbuchautoren.
Nach völlig übermüdeter Rückkehr bei einer langen Busfahrt (Wer hatte eigentlich das alte Ortsschild aufgesammelt und im Bus mitgenommen?) gab es hinterher viel zu erzählen. Wie haben unsere Eltern vierzehn Tage überlebt – mit nur einem Anruf für 1 DM oder 3 Francs pro Minute, dass wir gut angekommen waren? Ohne WhatsApp und Statusbilder?
Heute sind die Austauschschüler stundenlang via Videotelefonie mit den Freunden zuhause verbunden
In den Tagen, die auf dem Schüleraustausch folgten, tauschten wir unsere Erinnerungen aus: Fotoalben mit Nachbestelllisten vom Negativ drehten die Runde auf den Schulhöfen, Gruppen von Mitfahrern wanderten in den Pausen vom „Ehrenbürg“ zum „Herder“ und zurück. Gibt es das heute noch bei den vielen digitalen Erinnerungen, die morgen schon wieder im digitalen Nirvana verschwunden sind?
Und heute, 35 Jahre später, was ist passiert, was bleibt? Französisch-Abitur 1992, Gründungsmitglied des Partnerschaftskomitees 1993, ein Jahr Studium in Frankreich, einige Jahre dort gearbeitet, eine Französin geheiratet, unser Sohn, der selbst wieder auf Schüleraustausch mit Frankreich war: welch Schock! Die Franzosen fest verwachsen mit Handy, ohne Datenlimit dank EU-Roaming, ständig online.
In vier Grüppchen unterwegs: Französische Mädchen getrennt von den Jungs, deutsche ebenso, kaum Interaktion. Die Franzosen waren jeden Abend mit Frankreich per Videotelefonie stundenlang mit den in Frankreich zurückgebliebenen Freund(inn)en verbunden, die Zeit im Ausland kaum genutzt – ob sie es irgendwann bereuen? Für uns war es doch die beste Zeit voller Selbständigkeit, die uns bis heute prägt.“
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