Abschied

Der Tanzlehrer von Fürth: Trauer um Manfred Streng

Wolfgang Händel

Leiter Lokalredaktion Fürth

E-Mail zur Autorenseite

14.11.2021, 14:50 Uhr
Manfred Streng (21. 1. 1941 - 12. 11. 2021), wie man ihn kannte – bei der Arbeit mit Tanzschülerinnen und -schülern in seinem Weißengarten.

© Hans-Joachim Winckler Manfred Streng (21. 1. 1941 - 12. 11. 2021), wie man ihn kannte – bei der Arbeit mit Tanzschülerinnen und -schülern in seinem Weißengarten.

Urgestein. Der Begriff ist abgenutzt, er wird allzu oft bemüht – und oft ein bisschen zu leichtfertig. Bei Manfred Streng indes kann es keine zwei Meinungen geben: Der Mann, der unzähligen Fürtherinnen und Fürthern, eigentlich ganz Fürth, wie manche sagen, das Tanzen beigebracht hat, ist zweifellos ein Urgestein dieser Stadt.

Eines, auf das man nun verzichten muss: Manfred Streng ist im Alter von 80 Jahren am Freitag friedlich eingeschlafen – zur Linken und zur Rechten seine beiden Katzen, in der Wohnung, in der er bis zuletzt daheim war – inmitten seines kleinen Reichs, der Tanzschule in der Theaterstraße, einer Institution in der Kleeblattstadt.

Privates und Beruf, diese Trennung hat es für Manfred Streng nie gegeben. Seine Tanzschule, das war sein Leben, sein Team, das war seine Familie. Diese Familie konnte am Samstag noch einmal in aller Stille Abschied nehmen. Strengs Leichnam wurde im Ballsaal, dem Herzstück der Tanzschule im Weißengarten, aufgebahrt, standesgemäß in Smoking und Tanzschuhen.

Das rührende Detail zeigt die Verbundenheit und den Zusammenhalt, die den Betrieb in der Altstadt auszeichneten. Etliche, die zunächst nur zum Tanzen kamen, blieben später als Mitarbeitende, nebenher oder auch hauptberuflich.

Manuela Sträßner etwa, erst Schülerin, dann Aushilfe, nach dem Tod von Strengs Frau Ingrid im Jahr 2002 rechte Hand und Geschäftsführerin, seit 2015 Leiterin. Wie sie selbst, sagt die 43-Jährige, "verbinden viele in Fürth ihre Jugend mit Manfred Streng". Mit dem "Tanzlehrer von Fürth". Für Sträßner ist er wie ein zweiter Vater gewesen.

Dass Streng diesen Kurs einschlagen würde, war keineswegs ausgemachte Sache. Wie er in einem Gespräch mit den Fürther Nachrichten einmal erzählte, wollte er eigentlich Architekt werden. "Ich bin im Grunde mehr technisch veranlagt", bekannte er. Doch das Schicksal und familiäre Verpflichtungen sahen einen anderen Lebensweg für ihn vor: Seine Technik durfte er fortan in erster Linie auf dem Tanzparkett unter Beweis stellen.

Was er anfangs nach eigenem Bekenntnis für einen "unmöglichen Beruf" gehalten hatte, machte ihm mehr und mehr Spaß. Unter anderem deshalb, weil die 1889 von Strengs Urgroßvater Carl Friedrich gegründete Tanzschule in den 60ern, nach vier Jahren Besetzung durch die US-Armee und langer Flaute verwahrlost war; sie musste mühsam wieder in Schuss gebracht werden. "Am einen Tag war ich Tanzlehrer, am nächsten Techniker, am dritten Maurer", so Streng.

Mehrmals musste er im feinen Zwirn das Dach erklimmen, um zu verhindern, dass Regen durch klaffende Löcher auf tanzende Paare prasselte. Das Lokal im Keller der Tanzschule baute er im Alleingang aus und bestückte es mit den selbst gestalteten Waggons, die der ersten deutschen Eisenbahn "Adler" nachempfunden sind. Für Feste und Bälle fertigte er gern stilechte Dekorationen. Gondeln zum Beispiel oder Kutschen – in Originalgröße.

Von Beat bis Merengue

Schnell brachten er und seine Frau, die ebenfalls als Tanzlehrerin aktiv war, den Familienbetrieb wieder in Schwung und machten einige Moden mit: den Beat, "der uns fast überrollt hätte", wie er sich erinnerte, die Studentenrevolte, in der die Tänze des Establishments verschrien waren, Disco, Salsa, Lambada, Merengue und vieles mehr.

Das ständige Dazulernen gehörte zum Geschäft, mehr noch: Es war existenziell wichtig. Manfred Streng war das stets bewusst, es war eines seiner Erfolgsgeheimnisse. Ein anderes: Er kam bei den Jugendlichen gut an mit seiner Mischung aus Strenge und Flapsigkeit. "Die sind auf mich abgefahren, ich weiß net, warum", sagte er immer – und wusste es vermutlich doch sehr genau.

Denn nie war er um einen flotten Spruch verlegen, um eine Anekdote aus seinem Leben. Über den benachbarten, wilden Gänsberg seiner Jugend etwa, über das Quartier rund um die Theaterstraße, den Wandel vor der Haustür. Man staunte: "In jedem Häuserblock gab’s hier früher mindestens zwei oder drei Wirtschaften und zwei oder drei Bäckereien", erzählte Streng 2019 im Rahmen eines Videoporträts über das Viertel für die FN-Redaktion.

Und es war tatsächlich "sein" Viertel. Jeden Winkel und jeden Mauerstein kannte er, viele der alten Bewohner; bei der Bäckerei Wehr, schräg gegenüber, holte er sich oft "das Übliche", seinen gedeckten Apfelkuchen – und blieb für "a weng a Gschmarri".

Einen entscheidenden Schlag, sagt Weggefährtin Manuela Sträßner, hat ihm die lange Corona-Pause versetzt. Dort, wo Zeit seines Berufslebens sieben Tage lang Betrieb herrschte, wo bis in die Nacht getanzt wurde, stand plötzlich alles still.

Der passionierte Tanzlehrer, der bis zuletzt via Mikro seine Anweisungen ("Aufrecht stehen!", "Beine zusammen!", "Brust raus!") an Mann und Frau brachte, vermisste den Trubel, er bangte um sein Lebenswerk. Von diesem Einschnitt habe er sich nicht mehr recht erholt.

Manfred Streng wird fehlen: Fürth und seiner Tanzschule. In der aber wird Manuela Sträßner sein Erbe bewahren. "Mit voller Kraft", wie sie versichert.

Keine Kommentare