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Etwa 20.000-mal hat Thomas Siebert als Arzt die Vorsorgeuntersuchung bereits durchgeführt.
© Urologie Weißenburg
Etwa 20.000-mal hat Thomas Siebert als Arzt die Vorsorgeuntersuchung bereits durchgeführt.

Urologe klärt auf

Vorsorge kann Leben retten: Warum die ärztliche Prostata-Kontrolle so wichtig ist

Die Prostata ist so groß wie eine Walnuss. Wenn sie sich auch so hart anfühlt wie eine Walnuss, ist das ein Warnsignal. Beim Abtasten führt der Urologe den Finger sieben oder acht Zentimeter in den Enddarm ein. Gürtel auf, Hose runter. „Behalten Sie die Schuhe ruhig an“, sagt Arzt Thomas Siebert dann. Der Patient dreht sich auf der Liege zur Seite. Gummihandschuh, ein wenig Gleitgel auf die Fingerspitze. „Jetzt wird es kurz unangenehm.“ Zehn Sekunden später verschwindet der Handschuh im Mülleimer.

20.000-mal, schätzt Siebert, hat er schon eine Prostata abgetastet. Meistens, erzählen die Mitarbeiterinnen am Empfangstresen der Praxis im mittelfränkischen Weißenburg, vereinbaren Partnerinnen die Termine. „Meine Frau hat mehr Zeit für sowas, ich bin ja noch berufstätig“, sagt Herr Adam, randlose Brille, Polohemd, als er aus dem fensterlosen Behandlungszimmer kommt. Weil Gespräche über Geschlechtsorgane so ein wenig leichter fallen, tragen die Patienten in diesem Text geänderte Namen. „Vor einer Woche habe ich mir schon überlegt: Soll ich da wirklich hingehen?“ Der Hausarzt bestand auf der Vorsorge. „Der dachte sich: Jetzt packen wir den Herrn Adam beim Schopf!“, erzählt der Patient.

Seit 1971 bezahlen und empfehlen die gesetzlichen Krankenkassen das Abtasten mit dem Finger für Männer ab 45 Jahren einmal jährlich. Und erst, wenn das Tasten Sorgen bereitet, auch einen Bluttest, den PSA-Test. Laut der Techniker Krankenkasse Berlin ging 2023 nur jeder Vierte der betreffenden Versicherten zur Prostatakrebs-Vorsorge. „Viele Männer meiden den Urologen aus Scham vor der rektalen Tast-Untersuchung“, sagt Carsten Ohlmann, Chefarzt für Urologie und Sprecher der Deutschen Krebsgesellschaft. Die Früherkennung aber könne die Überlebenschancen erheblich verbessern. Wieso wird der Bluttest nicht Routine?

Was eine Kassenleistung ist und was nicht, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss, in dem Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenkassen und unparteiische Experten beraten. Vor fünf Jahren beauftragte das Gremium das zuständige wissenschaftliche Institut, Nutzen und Risiko des PSA-Tests abzuwägen. Genauer: Die Chance, Leben zu retten, wenn tödliche Tumore rechtzeitig erkannt werden, auf der einen Seite, gegen Überdiagnosen auf der anderen.

Letztere sind die Schattenseite einer richtigen Diagnose: Statistisch gesehen werden einige Männer Therapien aufnehmen, die sich - rückblickend - als überflüssig erweisen, weil die Betroffenen an etwas anderem sterben, bevor der Krebs Probleme bereitet. „Eine Maßnahme kann nur als neue Leistung für gesetzlich Versicherte aufgenommen werden, wenn der Nutzen den Schaden überwiegt“, sagt Ann Marini, Sprecherin des Ausschusses. Es geht also auch um die Frage, ob wir es überhaupt so genau wissen wollen. Am Ende riet das beauftragte Institut davon ab, den Bluttest flächendeckend einzuführen.

Nur: Mit der Tast-Untersuchung verglichen wurde der PSA-Test nicht. Dabei bezweifelt die Fachwelt die Verlässlichkeit des Abtastens. Eine viel beachtete Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums erklärt die Tast-Untersuchung inzwischen tatsächlich für ungeeignet, um Karzinome bei Mittvierzigern zuverlässig zu erkennen. Zu oft schlugen Urologen fälschlicherweise Alarm, zu selten erspürten sie umgekehrt potenziell bedrohliche Wucherungen. In ihrer jüngst aktualisierten Leitlinie rät die Deutsche Gesellschaft für Urologie deshalb vom Abtasten ab. Der Leistungskatalog der Krankenkassen blieb dagegen bislang unverändert.

Der Nächste, bitte! Herr Hartwig will es wissen. Der wortgewandte Mann im Karohemd war bei der Bundeswehr, gewöhnte sich früh an regelmäßige Check-ups. Vorsorglich lässt er auch den PSA-Test machen. Hartwigs Vater ging, damals Anfang 70, erst zum Arzt, als sich beim Wasserlassen Blut beimengte. Die Diagnose: Prostatakrebs. „Männer sind früher erst zum Arzt gegangen, wenn sie den Kopf schon unterm Arm trugen.“ Er dagegen, sagt Herr Hartwig, komme in einem Jahr wieder in die Praxis. „Zur Sicherheit.“

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