Weiter Weg in neues Leben

Zwei Familien laufen mit ihren Tieren vom Bodensee nach Meißen

Rosi Thiem

4.8.2022, 11:12 Uhr
 Ganz bewusst gingen die beiden Familien den Weg zu Fuß, es floss auch die ein oder andere Abschiedsträne, doch alle sind gespannt auf das neue Leben.

© Rosi Thiem, NN  Ganz bewusst gingen die beiden Familien den Weg zu Fuß, es floss auch die ein oder andere Abschiedsträne, doch alle sind gespannt auf das neue Leben.

Hinter ihnen sind wartende Autos, niemand hupt. Schnell haben sie die Straße verlassen und bewegen sich auf Feldwegen. Unter einigen Bäumen, die im wilden Unland stehen zäunen sie zwischen zwei abgedroschenen Feldern am Wegesrand ein und machen Mittagspause. „Wir meiden stark befahrene Straßen, auch Bahnübergänge und größere Städte und Ortschaften“, zählt Anja Eulitz, eine der vier Erwachsenen auf.

Seit über zwei Wochen sind sie unterwegs – in ein neues Leben. „Unsere Kinder hatten bis zum 15. Juli Schule, am Nachmittag holten wir unsere Tiere, dann ging es los“, erzählt die 40-jährige Sozialpädagogin strahlend. Ihre mitziehende Freundin Stefanie Schmidt plante die Tour.

„Wir laufen nach Komoot. Manchmal müssen wir wegen unserer Herde bewusst kleine Umwege schreiten. Wir haben vier Wochen eingeplant und werden schauen, ob wir dies in der Zeit schaffen“, lächelt Anja Eulitz.

Grunderwerb am Bodensee zu teuer

Die zwei befreundeten Familien wohnten in Sipplingen bei Überlingen am Bodensee und betrieben im Nebenerwerb mit ihren Tauernschnecken, Bure-Ziegen und Heidschnucken Landschaftspflege. Der Wunsch nach eigenem Grund und Haus war groß. „Am Bodensee hatten wir gemietet. Doch ein Erwerb ist am Bodensee finanziell nicht möglich, das ist viel zu teuer“, bedauert Robert Szabo, der zweifache Familienvater der anderen Familie. „Da kann man sich höchstens ein kleines Reihenmittelhaus leisten und muss ewig zahlen“, bedauert Anja Eulitz.

Sie wird mit ihrem einundvierzigjährigen Ehemann Stefan und den drei Kindern in der Nähe von Meißen einen Hof bei den Schwiegereltern beziehen. „Hier haben wir einen Familienbezug. Unsere Freunde Robert und Stefanie werden mit ihrer Tochter und ihrem Sohn nach Brandenburg, auch zu Verwandtschaft gehen und werden, so wie wir neu beginnen.“

Anfänglich zeigte sie ihrem Ehemann Stefan den Vogel, als dieser vorschlug, doch den neuen Lebensweg bewusst zu Fuß zu gehen. Doch dann fasste sie - genau, wie die andere Familie und die fünf Kinder - Feuer. „Wir sind alle hochmotiviert dabei“, lacht sie und breitet die Decke zum Vespern aus. Bei den Reisenden dabei ist ein zusätzliches Kind – ein Schulfreund der Kinder der unbedingt seine Ferien mit dieser Abenteuerabschiedsreise verbringen möchte.

Endlich Pause bei Hohenmirsberg. Von links Anja Eulitz sitzend, Robert Szabo, Stefanie Schmidt und Stefan Eulitz ruhen sich mit den Kindern aus für die noch vorliegende Tagesroute.

Endlich Pause bei Hohenmirsberg. Von links Anja Eulitz sitzend, Robert Szabo, Stefanie Schmidt und Stefan Eulitz ruhen sich mit den Kindern aus für die noch vorliegende Tagesroute. © Rosi Thiem, NN

15 Kilometer pro Tag

Geplant waren anfänglich um die 20 Kilometer am Tag. „Wir laufen nun täglich um die fünfzehn Kilometer, weil die Schafe das Tempo nicht mitmachen – für die Ziegen wäre es kein Problem. Aber es geht um das Wohl unserer Tiere. Wir haben die Tour angemeldet und haben uns bei den Landratsämtern angemeldet. Alle zehn Tage kommt der Amtstierarzt. Die Tiere sind geimpft.

Wir sind offiziell unterwegs und haben eine Triebgenehmigung.“ Achtsam und bewusst den Weg laufen – dieses Ziel ist immer parat. Nun geht es Richtung Bayreuth – Hof – Chemnitz. „Wir treffen so viele aufgeschlossene Menschen und kommen an Wege, die wir so nie finden würden“, schwärmt die 41-jährige Gemüsegärtnermeisterin und Heilpädagogin Stefanie Schmidt.

Die Fränkische Schweiz gefällt ihnen besonders gut mit ihrer bizarren, abwechslungsreichen Landschaft. „Auch am Brombachsee war es schön. Es ist sehr markant – vom satten grünen Bodensee immer Richtung Osten zu laufen.“ Sie kamen auch an Agrarwüsten vorbei und müssen jeden Tag neu Futter für die Tiere suchen. „Wenn es mal nicht reicht, dann haben wir Heu im Hänger dabei“, bemerkt der 35-jährige Ungarn Robert Szabo, der von Beruf Dachdecker und Flaschner ist. „Je mehr wir Richtung Osten laufen, umso trockener wird die Landschaft.“ Gelaufen wird abwechselnd in Schichten, hier machen auch die Kinder eifrig mit. Der Rest fährt zum Ausruhen mit dem Auto und Anhänger nach.

Die meisten Menschen am Wegesrand nehmen die Abenteurer mit offenen Armen auf und bewundern den Mut. „Manche sind auch anfänglich skeptisch, doch dann hören sie, was wir vorhaben und dass wir niemanden etwas Böses tun möchten und öffnen sich. Das ist von Tal zu Tal verschieden“, lacht Anja Eulitz.

Anwohner riefen die Polizei

Probleme gab es nie, bis auf einmal. Da stand im Nürnberger Land die Polizei am Morgen vor den Zelten. Anwohner hatten die Polizei gerufen und sich gewundert, dass sich neben Maisfeldern Unbekannte aufhalten. „Das hat sich aber schnell geklärt. Die Leute hatten Sorge, denn vorher wurde hier Brennholz gestohlen. Wir tun niemanden etwas, hinterlassen keinen Müll, machen keinen Schaden an den Feldern, zünden keine Lagerfeuer an und behandeln unsere Natur schützend und achtsam“, sagt sie.

Im mitgeführten Hänger am Auto befinden sich neben dem Heu, Lebensmittel, Matratzen, ein Zwischenboden als Schlafplatz und die Zelte. „Diese bauen wir jeden Abend auf und jeden Morgen ab“, zeigt Robert Szabo, der geschickte Handwerker auf. Frisches Trinkwasser bekommen sie von den Ortsbewohnern am Wegesrand, auch mal einen Zwetschgenkuchen. „Die Leute sind so hilfsbereit. Wir suchten nach einem Transport für die Tiere, um Nürnberg zu queren, selbst dieser wurde uns freundschaftlich vermittelt. Wir fragen immer, wo wir mit unserer Herde und den Zelten übernachten können.“

Die Kinder haben Spaß an den Gewässern, die sich am jeweiligen Wegesrand finden. Für sie ist es auch ein großer Einschnitt gewesen, wurde doch jetzt die alte Schule, die alten Freundschaften und die bisher vertraute Umgebung verlassen.

"Laufen bewusst langsam"

„Das ist jetzt für uns die Zeit zwischen zwei Leben“, bemerkt der 41-jährige Stefan Eulitz, der Demeterlandwirt und Jugenderzieher ist. „Wir laufen die gut 600 Kilometer bewusst langsam und zu Fuß, um die Vergangenheit hinter uns zu lassen und auf das neue Leben zuzugehen. Das ist gut für das Abschiednehmen.“

Am Bodensee gab es für die Landschaftspflege Geld. Das wird nun im Osten anders sein. „Der Osten ruft zwar Juhu, endlich wird da jemand da sein, der sich kümmert und freut sich zwar über die Landschaftspflege und weiß, dass diese nötig ist, doch hier werden leider keine Gelder dafür da sein“, vergleicht Anja Eulitz.

Wenn sie in Meißen angekommen sind – planmäßig oder je nachdem von den Tieren abhängig auch später, dann trennt sich die Herde und die beiden Familien und es geht erst einmal um das Auspacken der Umzugskisten. „Unsere gepackten Sachen warten schon auf uns“, schmunzelt Anja Eulitz und Robert Szabo ist froh: „Wenn wir dann in Brandenburg und Sachsen nun etwas Eigenes haben, dann können wir endlich planen, so wie wir das wollen und Berufe haben wir auch, die gebraucht werden.“