Louise Mulack (vorne links) feierte im Kreise ihrer Familie ihren 100. Geburtstag. Auch Bürgermeister Markus Mahl gratulierte.
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Louise Mulack (vorne links) feierte im Kreise ihrer Familie ihren 100. Geburtstag. Auch Bürgermeister Markus Mahl gratulierte.

Aus Lettland

Leben voller Entbehrungen: So feierte Louise Mulack in Hilpoltstein ihren 100. Geburtstag

„Jetzt hat sie’s geschafft“, sagt einer der Urenkel und meint damit wohl: „Jetzt ist die Uroma Louise Mulack 100 geworden.“ Vielleicht aber auch: „Ein Glück, dass alles so gut ausgegangen ist.“ Denn die Jubilarin war gestürzt und musste am Morgen ihres besonderen Geburtstages für einige Stunden zu einer Kontrolluntersuchung ins Krankenhaus, wie die Stadt Hilpoltstein mitteilt.

Krankenhausaufenthalte ist die Seniorin nicht erst seit einigen Jahren gewöhnt. Schon in jungen Jahren hatte sie einen Schlüsselbein- und einen Armbruch. Und weil es in ihrer Umgebung keine Ärzte gab, musste sie mit Pferdefuhrwerken über kaum vorhandene Straßen in die Klinik nach Mitau (Lettland) gebracht werden. Die Schmerzen während der gut einstündigen Tour mag man sich nicht vorstellen. Später folgten noch zwei gefährliche Lungenentzündungen, dazwischen der frühe Tod des Vaters und die Vertreibung der Deutschbalten in den Warthegau. „Heim ins Reich“ hieß die Aktion verharmlosend.

Mitten in den Kriegswirren geheiratet

Immerhin konnte Louise ab und an die Schule besuchen – was den drei jüngeren Geschwistern weitestgehend verwehrt blieb. Eine von Louises Lehrerinnen vermittelte damals Briefkontakte zu Soldaten an der Ostfront. So lernte Louise im Frühjahr 1943 einen von ihnen kennen; drei Monate später sahen sich die beiden zum ersten Mal, und noch einmal drei Monate später fand die Hochzeit mit Dietrich Mulack statt, mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Das private kleine Glück währte nur kurz: Ihr Mann geriet in russische Gefangenschaft, sie selber erlebte das tägliche Bombardement durch britische Flieger hautnah mit, ebenso wie die verschlüsselten Nachrichten vom Vormarsch der russischen Armee. „Es grenzt an ein Wunder“, hat Louise Mulack die Zeit um die Jahreswende 1944/45 beschrieben: „Es grenzt an ein Wunder, dass meine Familie aus dem bereits umzingelten Ostpreußen fliehen konnte und dass wir damals nicht in ein Schiff gestiegen sind, das wenige Stunden nach dem Auslaufen torpediert worden ist.“ Über vielem, was die Jubilarin in der Nachkriegszeit erlebt hat, liegt heute der sanfte Mantel des Vergessens. Geblieben sind die Gedanken an Hunger und Krankheiten in dieser Zeit. Dann und wann er-zählt die 100-Jährige ihren Urenkeln z. B. davon, wie Armut und Hunger das Leben geprägt haben oder wie es überhaupt möglich war, dass sich die weit verstreute Familie wieder finden konnte: Auf den Bahnstationen gab es Radios, und über Lautsprecher wurden täglich stundenlang Namen und Suchanzeigen verlesen. So haben sich die Familienmitglieder nach jahrelanger Trennung in Bayreuth getroffen.

Schwiegervater brach zusammen

Aufgrund seiner sehr persönlichen Lebens- und Leidensgeschichte war Louises Schwiegervater dort von den amerikanischen Besatzern als Richter eingesetzt worden. Vor Sorge um seinen Sohn Dietrich und unter der Last der täglich wachsenden Aufgaben brach er aber nach einem Dreivierteljahr auf offener Straße zusammen. Nun versuchte Louise, etwas zum Unterhalt der Familie beizutragen, indem sie ausreisewilligen Letten Unterricht in Englisch gab. Die finanzielle Situation änderte sich auch nur wenig, als ihr Mann spät aus der Gefangenschaft entlassen wurde. Die Jahre in den Lagern jenseits des Urals hatten ihn verändert; er musste erst wieder lernen, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Erst nach langer Suche fand er im benachbarten Kulmbach eine Stelle als Rechtsanwalt. Drei Kinder wurden in dieser Zeit geboren. Doch schon bald verloren sie ihren Vater; er erlag letztlich den Strapazen in Sibirien.

Auch Louise selber war gesundheitlich angeschlagen, litt unter den Abgasen der tschechoslowakischen Kohlekraftwerke und zog für gut zehn Jahre nach Schweden. Als mehr und mehr ihrer dortigen Bekannten starben, kehrte sie Mitte der 90er Jahre nach Deutschland zurück, zuerst nach Roth und vor zwölf Jahren nach Hilpoltstein. Inzwischen freut sie sich über sieben Enkel und noch mehr Urenkel. Viel zu feiern gibt es also. Da bleibt es nicht aus, dass die Jubilarin schon mal einen Namen vergisst. Aber die zugehörigen Gesichter kennt sie alle, freut sich über jeden Besucher im AWO-Heim und registriert mit besonderer Freude, dass ein bestimmter Gast tatsächlich jedes Jahr kommt: Bürgermeister Markus Mahl überbringt stets die Glückwünsche der Stadt. Und er gratuliert auch im eigenen Namen, weil Louise Mulack und er sich schon so lange kennen. Zwar keine 100 Jahre, aber „fast“.

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