Steuerparadiese in Mittelfranken und der Oberpfalz

Röttenbach statt Cayman Islands: Wie Siemens regionale Steueroasen nutzt

3.11.2021, 05:58 Uhr
Sieht so gar nicht nach dem Klischee von karibischen Steueroasen aus, bringt aber trotzdem viel Geld: Der Sitz von fünf Töchtern von Siemens Healthineers in Röttenbach, wo die Firmen vom niedrigen Gewerbesteuersatz profitieren.

© Rainer Groh, NN Sieht so gar nicht nach dem Klischee von karibischen Steueroasen aus, bringt aber trotzdem viel Geld: Der Sitz von fünf Töchtern von Siemens Healthineers in Röttenbach, wo die Firmen vom niedrigen Gewerbesteuersatz profitieren.

Steueroasen locken Unternehmen an. Diese gibt es aber nicht nur in Irland oder auf den Cayman-Inseln, sondern auch auf kommunaler Ebene: Die Oberpfälzer Stadt Kemnath im Landkreis Tirschenreuth und das mittelfränkische Röttenbach im Landkreis Erlangen-Höchstadt sind die beiden Gemeinden in Bayern mit den gewerbefreundlichsten Steuersätzen.

Gewaltiger Nachlass für Unternehmen

Beide Gemeindeparlamente haben den Hebesatz für die Gewerbesteuer auf 230 Prozent gesenkt. Bayernweit sind Sätze zwischen 320 und 400 Prozent üblich.

Kemnath war der Pionier dieser Praxis und machte damit im Jahr 2018 überregional Schlagzeilen. Dem heutigen Bürgermeister Roman Schäffler (CSU) war damals klar, dass seine Stadt ein großes Risiko einging. Schäffler war 2018 noch - parteiloser - Kämmerer Kemnaths. Es sei es um Arbeitsplätze gegangen – und um einen ganz neuen Gewerbesteuerzahler, der auf ein Ende der Steuereinbrüche hoffen ließ, die Kemnath in den Jahren 2016 und 2017 hatte hinnehmen müssen.

Kemnath war und ist ein Siemens-Standort. Der Konzern beschäftigt laut Schäffler hier etwa 1200 Menschen. In der Zeit der Abtrennung der Sparten Energie (heute Siemens Energy) und Medizintechnik (heute Siemens Healthineers) sei der Mutterkonzern an die Stadt herangetreten.

Sitz neuer Siemens-Firmen

Ob Kemnath sich vorstellen könne, Sitz neuer Siemens-Firmen zu werden. Solche würden sich aus den teilungsbedingten Änderungen im Siemens-Steuerverbund ergeben. Voraussetzung für eine Ansiedlung in Kemnath wäre allerdings ein entsprechend günstiger Gewerbesteuer-Hebesatz.

Kemnath wurde im Januar 2019, kurz nach der Gewerbesteuer-Senkung, Sitz der Siemens Trademark GmbH & Co KG. Dieses Tochterunternehmen vermarktet weltweit alle Marken des Siemens-Konzerns. Dieser dicke Fisch nährt nicht nur die 5500-Einwohner-Stadt, sondern alle 25 Gemeinden des Kreises Tirschenreuth, sagt Roman Schäffler.

Dass die Senkung des Hebesatzes so ausgehe, das, so der Bürgermeister „haben wir in unseren kühnsten Träumen nicht erwartet“. Er bereue den Schritt nicht. Kemnath hat auch fünf Siemens-Firmen verloren, alles Gesellschaften mit beschränkter Haftung und 2017 im steuergünstigen Kemnath gegründet.

Mittelfrankens steuergünstigste Gemeinde

Laut Handelsregister befindet sich im Haus am Gewerbering 22 in Röttenbach (Kreis Erlangen-Höchstadt) der Sitz von fünf hundertprozentigen Töchter der seit September im erweiterten Dax gelisteten Healthineers AG. Auf den Sitz weist neben einem Briefkasten und dem Klingelschild nur ein an die Glastür geklebtes Blatt Papier mit den Firmennamen hin.

Dort sind die Entwickler medizintechnischer Neuerungen am 21. Mai 2020 eingezogen. Kurz zuvor, am 28. April 2020, hatte der Ferienausschuss des Gemeinderats den Hebesatz der Gewerbesteuer von 320 Prozent auf 230 gesenkt. Das knapp 5000-Seelen-Dorf ist seither Mittelfrankens steuergünstigste Gemeinde.

„So ist der Markt“, kommentiert Kemnaths Bürgermeister gelassen den Wegzug der Firmen. Kemnath verliert so 1,4 Millionen Euro Gewerbesteuer jährlich. Sein Röttenbacher Kollege Ludwig Wahl (Freie Wähler) verneint nachdrücklich, die Senkung sei auf noch so sanften Druck der im benachbarten Erlangen angesiedelten Healthineers-Führung erfolgt, oder der Umzug der GmbHs gar eine Folge der Steuersenkung. Es seien andere Standortqualitäten Röttenbachs ausschlaggebend gewesen.

Subvention für Unternehmen

Briefkasten-Firmen werden die Healthineers-Töchter in Röttenbach nicht bleiben, lässt Ludwig Wahl durchblicken. Beide Bürgermeister wissen, dass ein derart niedriger Hebesatz einer Subvention für Unternehmen gleichkommt. Denn es gibt auch einen Hebesatz, aus dem die Steuerkraft jeder Gemeinde errechnet wird. Das Bayerische Finanzausgleichsgesetz nennt ihn „Nivellierungshebesatz“.

Er dient zur Ermittlung der Abgaben, die jede kreisangehörige Gemeinde an ihren Landkreis zu zahlen hat, und er beträgt 310 Prozent. Das heißt, bei 230 Prozent Gewerbesteuersatz bleibt die Gemeinde unter ihren Möglichkeiten, sich Geld von Gewerbetreibenden zu holen und schießt aus anderen Einnahmen, vor allem aus der Einkommenssteuer ihrer Bürger zu. Theoretisch.

Dicke Fische wie die Siemens-Firmen bringen nämlich auch bei niedrigem Satz so viel mehr Geld in die Gemeindekassen, dass angesichts des Gesamt-Bruttos eine derart prinzipielle Frage in den Hintergrund rückt. Er sehe die Tatsache, dass seine Gemeinde in den kommenden Jahren auch wesentlich höhere Kreisumlagen leisten muss, als „solidarisch und kooperativ“ mit den anderen Gemeinden des Landkreises, so Bürgermeister Wahl.

"Lage Röttenbachs ist ideal"

Siemens Healthineers äußert sich nicht zu derlei Fragen, heißt es vom Unternehmen. Laut Geschäftsbericht sitzen allerdings von den 15 deutschen Tochterfirmen der Healthineers zehn – je fünf – in Kemnath und in Röttenbach. Den Umzug nach Röttenbach sehe man „als starkes Bekenntnis zur Region Erlangen/Forchheim, in der wir rund 12.000 Mitarbeiter beschäftigen“. Außerdem sei die Lage Röttenbachs ideal, so Matthias Kraemer, in der Siemens-Presseabteilung zuständig für die Medizin-Tochter Healthineers.

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