
Glosse
So hart ist der Alltag eines Fernseh-Ultras während einer Fußball-EM
Viele Fernseh-Besitzer dürften den Fall kennen: Nach längerer Zeit ohne Betätigen einer Taste auf der Fernbedienung – bei mir sind es vier Stunden – schaltet sich das Gerät automatisch in den Stand-by-Modus. Wenn man Glück hat, verabschiedet sich der TV erst nach einer Minute Vorwarnzeit, so dass man noch schnell die Flasche Bier aus der einen Hand, das Handy mit dem Second Screen aus der anderen und die Tüte Chips vom Schoß nehmen kann, um auf dem Drücker eine Stufe lauter oder leiser zu stellen. Zuvor ist eventuell noch ein kräftiges Schütteln der Fernbedienung nötig, weil die Batteriesäure im Innern mal wieder eine etwas zu hohe Viskosität angenommen hat.
Vier Stunden am Stück vor der Glotze? Schaffe ich eigentlich nur bei einem Grand-Slam-Tennismatch – und alle zwei Jahre bei einem großen Fußballturnier. In der Vorrunde laufen drei Partien pro Tag. Inklusive Vor- und Nachberichte der Moderatoren, Interviews mit den Spielern, Analyse der Experten, Einschätzung der Ex-Profis, Einblendung der Statistik-Werte, Einordnung der Taktikfüchse, Reporter-Tagebuch, EM-Quiz und einem komödiantischen Ausklang wird die potenzielle Stand-by-Zeit locker drei Mal erreicht.
Ohne eine Generation von Torhütern?
Doch 2024 ist alles anders. Nicht ein Sender, nicht zwei und auch nicht drei, sondern gleich vier verschiedene Anbieter übertragen das Turnier in Deutschland. Und zwar nicht im täglichen Wechsel, sondern in einer algorithmischen Abfolge, die kein Kryptologe je entschlüsseln wird. Der Vorteil: Keine automatische Abschaltung des Fernsehers. Statt ungewollt lauter oder leiser stellen zu müssen, hat man längst zwischen ARD, ZDF, RTL und – wer es abonniert hat – Magenta TV – hin- und hergeschaltet. Duracell und Co. melden bereits leere Regale, weil sich Millionen von Deutschen mit Batterien für ihre abgegriffenen Fernbedienungen eindecken.
Julian Nagelsmann mag auf viele Neuanmeldungen von Jugendlichen in Fußballvereinen hoffen, wenn das Sommermärchen 2.0 von Erfolg gekrönt wird. Womit er nicht rechnen dürfte, sind Heerscharen von am Daumen verwundeten Menschen, die sich vier Wochen lang zu den genannten Sendern durchgezappt haben. Zumindest als Torwart kommen diese dann vorerst wohl nicht in Frage. Aber die werden in der Kindervariante Funino ja eh nicht gebraucht.
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