Zahnarzt näht die Eishockey-Legende

Von Puck im Gesicht getroffen: Für Patrick Reimer ein normaler Tag im Büro

Sebastian Böhm

Sportredaktion

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8.3.2023, 21:12 Uhr
Saubere Arbeit: Die vielleicht doch zurückbleibende Narbe wird Patrick Reimer nur noch interessanter machen.

© Jasmin Wagner/Imago Images Saubere Arbeit: Die vielleicht doch zurückbleibende Narbe wird Patrick Reimer nur noch interessanter machen.

Dr. Ulf Meisel hatte am Vormittag noch zwei Operationen in seiner Zahnarztpraxis. Dann nahm er sein Näh-Set, setzte sich in sein Auto, fuhr nach Bremerhaven, stellte sich neben die Bank der Ice Tigers und wurde, nachdem gerade einmal drei Minuten gespielt waren, dringend gebraucht. Patrick Reimer hatte nicht erst nach Bremerhaven fahren müssen. Mit den Ice Tigers weilt er bereits seit Samstag an der Nordseeküste. Am Dienstag ging es noch einmal zum Anschwitzen aufs Eis. Das erste Playoffspiel gegen die Fischtown Pinguins begann er auf dem Eis, den frühen Gegentreffer durch Jan Urbas musste er von der Bank aus mitansehen. In seinem zweiten Wechsel wurde seine Formation ins eigene Drittel gedrängt, der Puck schoss die Bande entlang zu Moritz Wirth. Der Bremerhavener Verteidiger nahm die Scheibe auf und Reimer fuhr auf ihn zu.

Die schwarze Hartgummischeibe ist 170 Gramm schwer, wird in DEL-Spielen auf bis zu 160 km/h beschleunigt. So schnell müssen Pucks aber gar nicht sein, um richtig weh zu tun - dass Eishockeyspieler ganz ordentlich geschützt sind, dämpft den Schmerz oftmals nur. Trotzdem suchen sie diesen Schmerz, schmeißen sich in Schüsse, versuchen, ihrem Torhüter die Arbeit abzunehmen. Und nicht selten verschaffen sie damit Ulf Meisel und seinem Zwillingsbruder Mark viel mehr Arbeit in ihrer Praxis.

"Guter Block von Reimer"

Reimer versuchte zunächst einmal nur, Wirth unter Druck zu setzen. Wirth ist in Forchheim aufgewachsen, beim EHC 80 Nürnberg zum Eishockeyspieler geworden, für die Ice Tigers ist er auch fünfmal aufgelaufen. Mittlerweile aber trägt er das Trikot der Pinguins. Und tatsächlich ließ er sich unter Druck setzen. Sein Versuch, die Scheibe an Reimer vorbei aufs Nürnberger Tor zu bringen, misslang. Wirth traf Reimer. Und Arne Malsch, der MagentaSport-Kommentator sagte: "Guter Block von Reimer."

Das war eine interessante Interpretation, denn Reimer "blockte" die steigende Scheibe aus drei Metern Entfernung mit der linken Wange. Blutend skatete der Kapitän sofort zur Bank. Normalerweise hätte jetzt der Team-Arzt der Fischtown Pinguins ausgeholfen. Doch an diesem Dienstagabend hatten die Ice Tigers ihren eigenen Spezialisten dabei. Ulf Meisel eilte zu Reimer, packte sein Näh-Set und den 6-0-Faden aus. Reimer verpasste nur einen Wechsel. Fünf Stiche und drei Spielminuten später stand er wieder auf dem Eis. Ein ganz normaler Tag im Büro.

Nur eine Randnotiz

Ein Cut unter dem rechten Auge machte Bastian Schweinsteiger am 13. Juli 2014 zum vom Finale im Maracana zu einer Legende des deutschen Fußballs. Für das deutsche Eishockey ist Patrick Reimer das längst. Kein Spieler hat in der DEL mehr Tore erzielt, keiner hat mehr Punkte gesammelt, dreimal wurde er zum Spieler des Jahres ausgezeichnet. Seit seiner Ankündigung, seine Karriere mit dieser Saison zu beenden, wird er gefeiert - in Nürnberg, Bietigheim und auch in Bremerhaven.

Ein Cut auf der Wange in seinem 1068. DEL-Spiel ist da nicht einmal eine Randnotiz wert. Spätestens in der Drittelpause war der schnelle Eingriff auf der Bank vergessen. Ulf Meisel packte sein Näh-Set wieder ein, setzte sich wieder in sein Auto und war irgendwann in der tiefen Nacht wieder in Nürnberg. Am Freitagabend wird er wieder auf seinem Stammplatz zwischen Kabine und Bank stehen. Die Anreise ist ungleich kürzer. Sollte Ulf Meisel am Sonntag aber noch einmal in Bremerhaven gebraucht werden, ist er sicher wieder da.

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