Missgebildeter Zwilling

Fötus im Kopf eines Mädchens entdeckt - er besaß "Gliedmaßen und fingerähnliche Fortsätze"

Stefan Besner

Online-Redaktion

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17.3.2023, 13:15 Uhr
Das "Fetus in fetu"-Phänomen ist extrem selten und tritt nach Angaben der National Library of Medicine nur in einer von 500.000 Schwangerschaften auf.

© © 2023 American Academy of Neurology, NN Das "Fetus in fetu"-Phänomen ist extrem selten und tritt nach Angaben der National Library of Medicine nur in einer von 500.000 Schwangerschaften auf.

Worauf chinesische Ärzte im Schädel einer Einjährigen stießen, erinnert auf verstörende Weise an den Stephen-King-Roman "Stark - The Dark Half". In dem Buch wird einem Jungen ein Gehirntumor entfernt, der sich während der OP als teilweise entwickelter Fötus entpuppt. Was zu bizarr klingt, um wahr zu sein, ist in der Tat ein seltenes medizinisches Phänomen, das als "Fetus in fetu" bezeichnet wird.

Was ist ein Fetus in fetu?

Bei einem Fetus in fetu entwickeln sich zunächst zwei oder mehr Föten im Mutterleib, von denen dann – anders als bei miteinander verwachsenden Siamesischen Zwillingen – einer oder auch mehrere Föten in den anderen einverleibt werden. Laut National Library of Medicine sind weltweit weniger als 100 Fälle bekannt. Infolgedessen kann es vorkommen, dass sich nach Jahren oder Jahrzehnten im überlebenden Zwilling die noch erhaltenen Stammzellen zu vermehren beginnen. Im Körper des Überlebenden kann dann an untypischen Stellen wie Bauchhöhle oder Schädel auf einmal relativ gut ausdifferenziertes Gewebe wie Haare und Zähne, mitunter sogar Gliedmaßen auftauchen. Das kann zu Beschwerden führen wie z. B. Kopf- oder Bauchschmerzen.

Bei einem Fetus in fetu entwickeln sich zunächst zwei oder mehr Föten im Mutterleib.

Bei einem Fetus in fetu entwickeln sich zunächst zwei oder mehr Föten im Mutterleib. © Original: Foto: Copyright © 2023, American Academy of Neurology

Gliedmaßen und sogar fingerähnliche Fortsätze

Exakt das passierte bei dem einjährigen chinesischen Mädchen. Wie es in einem Bericht des Fachmagazins Neurology heißt, zeigten CT-Scans ihres Kopfes, dass ihr Gehirn zusammengedrückt war und sich durch eine erhebliche Wucherung in den Ventrikeln Flüssigkeit angesammelt hatte. Der Bericht schildert, dass die Operation eben jene medizinische Rarität eines "intraventrikulärem Fetus in fetu" zu Tage förderte. Mit anderen Worten: Der Fötus des ungeborenen Zwillings des Kindes befand sich im Inneren des Schädels. Die winzige "fetiforme Masse" hatte bereits Gliedmaßen und sogar fingerähnliche Fortsätze entwickelt. Wie sich die Einjährige nach dem schweren chirurgischen Eingriff erholt, wird in dem Bericht nicht thematisiert.

"Ich konnte jemandem da drinnen die Hand schütteln"

Das "Fetus in fetu"-Phänomen tritt nach Angaben der National Library of Medicine nur in einer von 500.000 Schwangerschaften auf. 2008 wurde im allgemeinen Krankenhaus der thessalischen Stadt Larisa in Griechenland einem neunjährigen Mädchen ein sechs Zentimeter langer Fötus aus dem Bauch operiert. Er war teilweise schon gut entwickelt, mit langen Haaren, Wirbelsäule und Augen. Im Februar 2016 entdeckten Ärzte bei der Untersuchung eines Neugeborenen zwei weitere Föten im Bauch, bei denen sich Arme, Beine, Wirbelsäule und einige inneren Organe gebildet hatten.

Der bislang spektakulärste Fall wurde 1999 bekannt: Der Bauch des 36 Jahre alten Inders Sanju Bhagat war derart geschwollen, dass er aussah, als wäre er im neunten Monat schwanger. Bhagat konnte kaum noch atmen. Als die Ärzte ihn einer chirurgischen Operation unterzogen, um den vermeintlichen Tumor zu entfernen, mussten sie erst einmal verdauen, was sie dort sahen: "Zu meiner Überraschung und zu meinem Entsetzen konnte ich jemandem da drinnen die Hand schütteln", erinnert sich ein Arzt, wie abc berichtet. In Bhagats Magen befand sich demnach ein seltsames, halb geformtes Wesen, das Füße und Hände besaß, die weit entwickelt waren. Seine Fingernägel waren ziemlich lang. Der Arzt berichtete: "Das war ein Schock für mich."