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Galeria, Görtz und Gerry Weber: Warum sich Insolvenzen im Modehandel häufen

Johanna Mielich

Online-Redaktion

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23.5.2023, 16:36 Uhr
Ein geschlossenes Geschäft in der Fußgängerzone in Stuttgart, kein seltener Anblick in Deutschland, denn: Zahlreiche Mode- und Schuhhändler kämpfen ums Überleben. 

© Bernd Weißbrod/dpa Ein geschlossenes Geschäft in der Fußgängerzone in Stuttgart, kein seltener Anblick in Deutschland, denn: Zahlreiche Mode- und Schuhhändler kämpfen ums Überleben. 

Verschlossene Ladentüren und abgedunkelte Schaufenster - auf der anderen Seite knallrote Aufsteller, die den ganz großen Rabatt versprechen: In fast allen Einkaufsstraßen der Republik künden grell leuchtende Prozentzeichen und ausgeräumte Geschäfte von der schwierigen Lage des Einzelhandels. Unübersehbar hinterlässt das Ladensterben schon jetzt seine Spuren in den Shoppingmeilen. Und auch die Aussichten in den nächsten Monaten sind eher düster.

Volker Böhm, Standortleiter der bundesweit tätigen Kanzlei Schultze & Braun in Nürnberg.

Volker Böhm, Standortleiter der bundesweit tätigen Kanzlei Schultze & Braun in Nürnberg. © Schultze & Braun

Allein in diesem Jahr werden nach einer jüngst veröffentlichten Prognose des Handelsverbandes Deutschland (HDE) rund 9000 weitere Geschäfte aufgeben. Im Januar 2023 haben die deutschen Amtsgerichte nach endgültigen Ergebnissen 1.271 beantragte Unternehmensinsolvenzen gemeldet. Das waren 20,2 Prozent mehr als im Januar 2022. Besonders hart trifft es derzeit auch den Mode- und Schuhhandel.

Öffentliche Aufmerksamkeit bekommen dabei vor allem die Filialschließungen bekannter Ketten: die geplante Schließung von 47 Galeria-Karstadt-Kaufhof-Warenhäusern – darunter auch zwei in Nürnberg, die angekündigte Verkleinerung des Filialnetzes der Modekette Gerry Weber oder die Abwicklung zahlreicher Filialen der Schuhhandelskette Görtz. Seit März sucht auch der Mode-Riese Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf (P&C) Rettung in einem Schutzschirmverfahren. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht.

Insolvenzen im Modehandel: Vielschichtige Gründe

"Momentan verdichten sich die dunklen Wolken am Horizont", beschreibt Volker Böhm, Standortleiter der bundesweit tätigen Kanzlei Schultze & Braun in Nürnberg, die Situation. Er ist seit mehr als 25 Jahren in der Metropolregion Nürnberg als Insolvenzverwalter und Sanierer tätig, begleitete unter anderem bereits 2016 das Bekleidungsunternehmen Wöhrl durch ein Schutzschirmverfahren. Er befürchtet, dass die aktuellen Filial-Schließungen erst der Anfang sind. Die Insolvenzrisiken für viele Unternehmen steigen – nicht nur, aber eben gerade auch im Mode- und Schuhhandel. Obwohl sich die Umsätze nach der langen Pandemie-Zeit wieder einigermaßen normalisieren, kämpft die Branche mit enormen Problemen. Die Ursachen? Vielschichtig.

So treibt Inflation die Preise und Kosten nach oben und schmälert die Kaufkraft der Kunden. Zudem haben die Belastungen in der Corona-Pandemie die Reserven vieler Unternehmen aufgezehrt. Dazu kommen steigende Energiepreise, hohe Mieten und Kostensteigerungen beim Personal. Da zum Beispiel die steigenden Energiepreise nicht nur den Endverbraucher, sondern gleichzeitig auch die Handelsunternehmen direkt treffen, sind sie für die Händler eine doppelte Belastung. Und auch Banken würden bei der Kreditvergabe inzwischen kritischer auf die Modebranche schauen, weiß Böhm.

Eine weitere Herausforderung: Bei vielen Unternehmen steht nun die Überprüfung und mögliche Rückzahlung von Corona-Hilfen an, fügt der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht hinzu.

"Sehr herausfordernde Gemengelage"

"Das ist aktuell schon eine sehr herausfordernde Gemengelage. Wahrscheinlich werden wir hier noch die ein oder andere Insolvenz mehr sehen als in der Vergangenheit", führt Insolvenzexperte Böhm fort. Viele Textileinzelhändler hätten zusätzlich zu den marktseitigen Faktoren auch noch mit hausgemachten Problemen zu kämpfen. "Die Erfahrung zeigt: Es gibt kaum ein Unternehmen, das nicht irgendwo den ein oder anderen Schwachpunkt hat", sagt Böhm.

Nicht zuletzt der Online-Handel hat in den vergangenen Jahren die Geschäftsgrundlage vieler Händler verändert. In der Corona-Krise haben sich noch mehr Kunden daran gewöhnt, auch über das Internet einzukaufen. Doch: "Der Online-Handel als Ergänzung zum stationären Geschäft ist kein Allheilmittel. Nur dort die Lösung zu suchen funktioniert zumeist nicht. Viele Fälle haben gezeigt, dass wegen der durchaus komplexen Anforderungen an IT und Logistik und der damit verbundenen Anfangsinvestitionen ein wirtschaftlich erfolgreicher Online-Handel alles andere als ein Selbstläufer ist", gibt der Sanierungsexperte zu Bedenken.

Optimierungsbedarf sieht Böhm auch in der fehlenden Fachberatung vor Ort und dem damit schwindenden Anreizen für Kunden, in die Geschäfte zu gehen. "Der Besuch im Laden muss für den Kunden mehr als nur Einkaufen sein: Händler können auch in schwierigen Zeiten gute Umsätze machen, wenn sie attraktive Filialen haben, auf individuelle Beratung durch geschulte Mitarbeitende setzen und ihren Kunden immer wieder ein neues und positives Einkaufserlebnis bieten." Eine maßgebliche Rolle spielt Böhms Erfahrung nach aber auch das Sortiment eines Händlers: Erfolgreiche Händler schafften es mit immer wieder neuer und aktueller Ware die Kunden in die Geschäfte zu locken – und das nicht nur einmal im Frühling und Herbst. Der professionell gemanagte Einkauf ist auch unter einem weiteren Aspekt ein Schlüsselfaktor: An der Stange oder im Lager bindet Ware dringend benötigtes Kapital und die Sicherung der Liquidität hat gerade in schwierigen Zeiten absolute Priorität.

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