Verkehrsprojekt war unwirtschaftlich

Endstation Insolvenz: Das traurige Ende der Ludwigseisenbahn vor 100 Jahren in Nürnberg

1.11.2022, 11:00 Uhr
Zum 70. Jubiläum entstand dieses Gemälde, das die Jungfernfahrt des Adlers 1835 zeigt, die eigentlich im Winter stattfand. Im Hintergrund der Bahnhof am Plärrer.  

© Ansichtskarte nach Karl Selzer (Sammlung Sebastian Gulden) Zum 70. Jubiläum entstand dieses Gemälde, das die Jungfernfahrt des Adlers 1835 zeigt, die eigentlich im Winter stattfand. Im Hintergrund der Bahnhof am Plärrer.  

Es gibt Dinge, die Geschichte schreiben und doch den Weg alles Irdischen beschreiten. Denn selbst die beste Erfindung und das pfiffigste Geschäftskonzept ist vor Missmanagement und höherer Gewalt nicht gefeit. Wenn dann niemand aufpasst, bleiben oftmals kaum mehr als Erinnerungen – wie im Falle der Ludwigseisenbahn.

Die Angst vor der Zahlungsunfähigkeit, sie hat in unseren Tagen wieder einmal traurige Aktualität. Viele Wirtschaftshistoriker und Analysten ziehen in Zeiten von Coronakrise, Ukrainekrieg und Gasknappheit Parallelen zur Zeit der Hyperinflation zu Beginn der 1920er Jahre, als schon einmal zahllose Privatleute und Firmen den Offenbarungseid leisten mussten.

Eine seltene Aufnahme des Haltepunktes "Nürnberg-West" mit dem Stationspersonal um 1912. Der interessante Bau wurde wohl bald nach der Insolvenz abgebrochen.  

Eine seltene Aufnahme des Haltepunktes "Nürnberg-West" mit dem Stationspersonal um 1912. Der interessante Bau wurde wohl bald nach der Insolvenz abgebrochen.   © Anonyme Fotokarte (Sammlung Sebastian Gulden)

Am 31. Oktober 1922 traf es die Ludwigseisenbahngesellschaft. Aus, Schluss, vorbei – das traurige Ende einer Geschichte, die knapp 85 Jahre zuvor so erfolgversprechend begonnen hatte: Am 8. Dezember 1835 hatte die erste Eisenbahnstrecke für die Personenbeförderung auf dem europäischen Festland ihren Betrieb aufgenommen. Mit damals unerhörten 25 bis 30 Stundenkilometern transportierten die bei Robert Stephenson & Company im britischen Newcastle upon Tyne gebauten Lokomotiven "Adler" und "Pfeil" ihre Fahrgäste vom Nürnberger Plärrer zur heutigen Fürther Freiheit.

Pferde sparten Loks ein

Zu Beginn gab es zwei Zwischenstopps, einen auf Nürnberger und einen auf Fürther Stadtgebiet, nämlich "Nürnberg-West" auf der heutigen Kreuzung Fürther und Maximilianstraße und "Fürth-Ost" im Bereich des U-Bahnhofes Jakobinenstraße. An Ersteren erinnert, wie unser Leser Hans-Martin Arnold berichtet, heute noch die erhaltene Beschriftung an der Fassade des Eckhauses Murrstraße 1, die einst den Weg in die "Restauration Westbahnhof" (später "Siechen-Eck") im Erdgeschoss wies.

Ebenso zierlich wie die Loks und ihre Waggons nahmen sich die beiden Endbahnhöfe der Bahn aus, die ihre Initiatoren Georg Zacharias Platner und Johannes Scharrer zu Ehren des bayerischen Königs Ludwig I. "Ludwigseisenbahn" getauft hatten: Sie besaßen je ein zweigeschossiges Empfangs- und Verwaltungsgebäude aus Sandstein, Perronhallen mit Tragwerk aus Holzbindern, einen beziehungsweise zwei Lokschuppen und Nebengebäude, darunter in Nürnberg ein Lagerhaus und eine Pferdestallung.

Kaum jemand dürfte damals geahnt haben, dass die gewaltigen Hallen als "Kathedralen der Technik" einst die Bilder unserer Großstädte mitbestimmen würden. Aber Moment mal – warum "Pferdestallung"? Tja, weil die Dampfloks anfangs der hohen Preise für Kohle wegen nur zweimal am Tag ihren Dienst taten. Für alle anderen Fahrten setzte man bis 1862 Pferde als Zugtiere ein.

Trotz wirtschaftlicher Probleme hatte die Ludwigsbahn um 1905 in Nürnberg einen traumhaften Vorplatz von weltstädtischer Eleganz, inklusive Denkmal. Links ist das neue Stationsgebäude von 1872 zu sehen.  

Trotz wirtschaftlicher Probleme hatte die Ludwigsbahn um 1905 in Nürnberg einen traumhaften Vorplatz von weltstädtischer Eleganz, inklusive Denkmal. Links ist das neue Stationsgebäude von 1872 zu sehen.   © Ansichtskarte des Verlags Stengel & Co. (Sammlung Sebastian Gulden)

Ironischerweise war es ausgerechnet die anfangs ebenfalls von Pferden gezogene Nürnberg-Fürther Straßenbahn, die der Ludwigsbahn 17 Jahre später gehörig Konkurrenz machte und dem Haltepunkt "Nürnberg-West" gar ein eigenes Filialdepot vor die Nase baute.

Zwergbahnhöfe

Während die Eisenbahn landauf, landab das Verkehrswesen revolutionierte, lief die Sache mit der Ludwigsbahn – zumindest wirtschaftlich – ohnehin nie so recht rund. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass man die beiden Endbahnhöfe 1872 respektive 1885 mit größeren und repräsentativeren Empfangsgebäuden im Stil des späten Klassizismus und der Neorenaissance versah. Im Vergleich zu den damals entstehenden Großstadtbahnhöfen nahmen sie sich wie Zwerge aus.

Ganz verloren ist die Ludwigsbahn indessen nicht: Neben Berichten und Bilddokumenten zeichnet die Fürther Straße mit ihrem breiten Mittelstreifen noch heute den Verlauf der Trasse nach. Im Untergrund – zwischen den Haltepunkten Eberhardshof und Stadtgrenze auch oberirdisch – folgt die U-Bahn-Trasse der Linie U1 Europas erster Eisenbahnstrecke für den Personenverkehr.

Verschwunden sind hingegen sämtliche alten Haltepunkte und Bahnhöfe an der Strecke. 1938 musste der Fürther Endbahnhof den Begehrlichkeiten der Nazis weichen, die einen Aufmarschplatz ohne störende Gründerzeitarchitektur wünschten. Der Nürnberger Endbahnhof musste, nachdem er den Zweiten Weltkrieg kaum beschädigt überstanden hatte, schließlich fallen. An seiner Stelle errichtete man bis 1953 das Plärrerhochhaus.

Während über der Erde alle Erinnerung an einen der ersten Eisenbahnhöfe Festlandeuropas getilgt ist, erinnert dieses Fliesenmosaik im U-Bahnhof Plärrer von 1980 an die historische Jungfernfahrt des Adlers.

Während über der Erde alle Erinnerung an einen der ersten Eisenbahnhöfe Festlandeuropas getilgt ist, erinnert dieses Fliesenmosaik im U-Bahnhof Plärrer von 1980 an die historische Jungfernfahrt des Adlers. © Sebastian Gulden

Und auch die Tatsache, dass die berühmten Loks Adler und Pfeil achtlos verstümmelt, verscherbelt und verschrottet wurden, lässt den Verdacht aufkeimen, dass der Stolz der Nürnberger und Fürther auf die epochemachende Bahnstrecke so groß auch wieder nicht war. Zum Vergleich: Das Londoner Museum of Science kaufte schon 1862 die "Puffing Billy" an, mit Baujahr 1813 die älteste erhaltene Lok der Welt.

Verschobenes Denkmal

Als die Nazis 1935 ihre propagandistisch aufgeblasene Schau "100 Jahre deutsche Eisenbahn" inszenierten, musste eine Replik die zahllosen Gäste der Ausstellung auf der alten Strecke kutschieren (und auch diese musste nach verheerendem Brandschaden bis 2007 weitgehend neu aufgebaut werden). Da war es gut und weise, dass der Gostner Vorstadtverein dereinst anregte, der Ludwigsbahn ein Denkmal errichten zu lassen. Das von Bildhauer Heinrich Schwabe und Erzgießer Christoph Lenz geschaffene Monument wurde 1890 enthüllt.

1951–1953 trat das Plärrerhochhaus von Wilhelm Schlegtendal die Nachfolge des Nürnberger Ludwigsbahnhofes an.

1951–1953 trat das Plärrerhochhaus von Wilhelm Schlegtendal die Nachfolge des Nürnberger Ludwigsbahnhofes an. © Boris Leuthold

Wohl kein anderes Denkmal in Nürnberg ist über die letzten Jahrzehnte so oft in der Gegend herumgeschoben worden, weil es immer irgendwie störte: Vom Bahnhofsvorplatz wanderte es 1929 an die Stadtgrenze, 1965 dann ein paar Meter weiter auf die Grünanlage am Frankenschnellweg, wo es beim Neubau der Auffahrt 1981 nochmals umgesetzt werden musste, bis es 1993 auf Betreiben des Mäzens Kurt Klutentreter endlich an seinem heutigen Standort an der Fürther Straße gegenüber der Veit-Stoß-Anlage gelandet ist.

Am Schluss bleibt die Einsicht: Es ist stets weise, die Dinge, die Geschichte schrieben, zur rechten Zeit sicherzustellen. Sonst bleiben am Schluss höchstens die verklärte Erinnerung und verstaubte Fotos. Immerhin: Während in unseren Tagen wieder häufiger wertvolle historische Bausubstanz, auch Bahnhöfe, unter die Baggerschaufel kommen, verhindert die Gemeinde der Eisenbahnfreunde immer öfter, dass Denkmäler der Technik wie Adler und Pfeil dem Abwracken anheimfallen.

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: lokales@vnp.de

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