Das N-Ergie-Hochhaus und seine Geschichte

Nürnbergs liebster Mini-Wolkenkratzer steht am Plärrer

15.2.2022, 14:00 Uhr
Der Plärrer mit seinem brandneuen Hochhaus 1953. Außer dem Denkmal, das heute vor der Fürther Straße 74 steht, war fast nichts mehr vom früheren Ludwigsbahnhof übrig.  

© Fritz Lauterbach, Sammlung Sebastian Gulden Der Plärrer mit seinem brandneuen Hochhaus 1953. Außer dem Denkmal, das heute vor der Fürther Straße 74 steht, war fast nichts mehr vom früheren Ludwigsbahnhof übrig.  

Die große Enttäuschung vorweg: Das Plärrerhochhaus, das heuer seinen 69. Geburtstag feiert, war nicht Nürnbergs erstes Hochhaus. Diese Ehre gebührt dem Karl-Bröger-Haus, das 1930 von Hans Müller und Karl Kröck für den Verlag Fränkischer Kurier errichtet wurde und zumindest nach damaligen Maßstäben die Anforderungen eines Hochhauses erfüllte. Und an die 163 Meter Höhe des Business Towers an der Ostendstraße kommt es mit mageren 56 Metern nicht ansatzweise heran.

Ludwigsbahnhof musste weichen

Wenn schon nicht in puncto Alter und Höhe, so kann es das Plärrerhochhaus aber auf jeden Fall an Bekanntheit mit seinen Konkurrenten aufnehmen. "Bekannt" und "beliebt", das sind naturgemäß zweierlei Paar Stiefel. Wie beim Bau des Hünen zwischen 1951 und 1953 scheiden sich auch heute noch die Geister darüber, ob es nun eine Zierde für Nürnberg ist oder nicht. Nicht wenige trauern dem Ludwigsbahnhof, einst Ausgangspunkt der ersten öffentlichen Eisenbahnfahrt auf dem europäischen Festland im Jahre 1835, nach. Sein Empfangsgebäude, das 1872 im klassizistischen Stil neu errichtet worden war, musste für den Hochhausbau abgerissen werden.

Fast wie auf einem realsozialistischen Propagandagemälde inszenierte man den Plärrer mit dem Ludwigsbahnhof und dem Eisenbahndenkmal anno 1899.  

Fast wie auf einem realsozialistischen Propagandagemälde inszenierte man den Plärrer mit dem Ludwigsbahnhof und dem Eisenbahndenkmal anno 1899.   © Grafik Winkler & Schorn, Repro Sebastian Gulden

Bauherrin von Nürnbergs neuer Landmarke war die Energie- und Wasserversorgungs-Aktiengesellschaft (Ewag), die heute unter dem Namen N-Ergie firmiert. Die Pläne zeichnete Wilhelm Schlegtendal. Der Architekt hatte an eben jener Stelle in den 1930er Jahren im Auftrag der nationalsozialistischen Stadtverwaltung ein monströses "Gau-Forum" geplant, das nie gebaut wurde. Im Gegensatz zum klobigen Neoklassizismus dieses Entwurfs zeichnet sich das Hochhaus durch klare Linien, feingliedrige Stützen und Fassadengliederung aus. Die Fronten des Hauses sind als moderne Vorhangfassaden ausgeführt. Eine freitragende, geschwungene Haupttreppe, die wirkt, als ob sie schwebe, bestimmt die Eingangshalle.

Welch Aussicht! Eine ältere Dame posiert im Jahre 1961, als die Dachterrasse noch Besuchern offen stand, vor dem Weichbild Alt-Nürnbergs für die Kamera.  

Welch Aussicht! Eine ältere Dame posiert im Jahre 1961, als die Dachterrasse noch Besuchern offen stand, vor dem Weichbild Alt-Nürnbergs für die Kamera.   © unbekannt, Sammlung Sebastian Gulden

Daneben erschloss ein Paternoster-Aufzug die 15 Etagen. Früher, da das Plärrerhochhaus noch problemlos zugänglich war, war es Kindern und Jugendlichen der größte Spaß, mit dem Paternoster hinauf- und hinunterzufahren. Er wurde 1976 aufgrund neuer Sicherheitsbestimmungen und aus Gründen des Brandschutzes zugunsten zweier Aufzüge entfernt.

König in der Teestube

Ursprünglich konnte man nach Einbruch der Dunkelheit das "Hochhaus", wie es von den Nürnbergern genannt wird, mit Lichtinstallation bewundern. Die Fenster wechselten mit der Beleuchtung ab, teilweise waren alle Fenster hell erleuchtet, teilweise nur einige. Der Lichtmast am Dach war in das Lichtspiel einbezogen. Hinter dem Mast verbarg sich ursprünglich ein UKW-Sender für die Ewag-Fahrzeuge und den VAG-Fuhrpark, seinerzeit ein Novum.

Wirtschaftswunderzeiten: Das Plärrerhochhaus in Nürnberg am eisigen 18. Februar 1956.  

Wirtschaftswunderzeiten: Das Plärrerhochhaus in Nürnberg am eisigen 18. Februar 1956.   © unbekannt, Sammlung Sebastian Gulden

An der Spitze des Gebäudes plante Architekt Schlegtendal ein zurückgesetztes Attikageschoss mit typischem Flugdach und einer großzügigen Dachterrasse. Von hier genießt man einen phänomenalen Rundumblick auf Nürnberg. Im Attikageschoss bestand eine Teestube, in der die Oberbürgermeister ihre Ehrengäste zu empfangen pflegten. 1960 etwa waren hier der thailändische König Bhumibol und Bundespräsident Heinrich Lübke zu Gast. Später wurden Terrasse und Teestube für die Öffentlichkeit geschlossen. Der traurige Hintergrund: Mehrere Menschen hatten sich von dort in den Tod gestürzt.

Minus 28 Grad im Winter 1955/56

Unser historisches Foto versprüht die Aufbruchstimmung und den Fortschrittsglauben der Wirtschaftswunderjahre. Die Straßenbahnen und der "Plärrer-Automat" als Boten der Motorisierung und Automatisierung setzen Akzente vor dem Weichbild des Hochhauses. Die Menschen werden an jenem 18. Februar 1956 aber wenig dynamisch unterwegs gewesen sein: Es herrschten eisige Rekordtemperaturen von minus 28 Grad.

Das Plärrerhochhaus in seiner heutigen Ansicht, kurz vor der 2019 beendeten Kernsanierung.  

Das Plärrerhochhaus in seiner heutigen Ansicht, kurz vor der 2019 beendeten Kernsanierung.   © Sebastian Gulden

Der Plärrer wurde nach dem Zweiten Weltkrieg fast alle zehn Jahre komplett umgestaltet. Schöner wurde er damit leider nicht. Auch den Plärrer-Automaten – so benannt wegen des automatischen Postamtes mit Selbstwählfernsprechzellen und Briefmarkenautomaten in seinem Inneren – gibt es nicht mehr. Der filigrane Bau aus Stahl und Glas, ein Meisterwerk der Neuen Sachlichkeit, erbaut 1928/1929 von Baurat Walter Brugmann, fiel 1977 dem Bau des U-Bahnzugangs zum Opfer, nachdem er schon in den Wirtschaftswunderjahren verkürzt worden war.

Indes, das Hochhaus ist geblieben und erfreute allzeit durch erstaunliche Konstanz, während sich sein Umfeld radikal wandelte. Ab 2016 wurde Nürnbergs bekanntestes Hochhaus, das seit 1988 unter Denkmalschutz steht, für rund 50 Millionen Euro aufwändig saniert. Im Herbst 2019 konnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der N-Ergie ihr Domizil wieder in Besitz nehmen.

Der Charme und die Ausstattung der Wirtschaftswunderzeit sind trotz vielfältiger und tiefer Eingriffe im Sinne heutiger Anforderungen an Brandschutz und Energieeffizienz weitgehend erhalten geblieben. Auch die künstlerische Ausstattung mit Kunst am Bau und Skulpturen, die Nürnberger Künstlergrößen der Wirtschaftswunderjahre wie Bertl Kuch, Kurt Busch und Gudrun Kunstmann schufen, blieben bewahrt. Das ist mehr als erfreulich, hat Nürnberg doch in den letzten drei Jahrzehnten viele gerade der besonders gelungenen Bauten aus der Zeit des Wiederaufbaus verloren.

Ein neues Jahrbuch unserer Partner der Initiative "Nürnberg - Stadtbild im Wandel" mit Beiträgen aus dem Jahr 2018 ist in der Kunstanstalt Ludwig von Aroncella erschienen. Erhältlich ist der Band zu 25 Euro über www.aroncella.de.

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Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel

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