Gewaltiger Block in Bestlage

Auch wenn es manche nicht fassen können: Warum der "Kaufhof" in Nürnberg unter Denkmalschutz steht

7.11.2023, 15:00 Uhr
Der gewaltige Block des Kaufhofs hatte die kleinteiligen Strukturen von einst abgelöst (1953). Mit kleineren Veränderungen hat sich der Zustand der 1960er Jahre bis heute erhalten. Nun wartet das Kaufhaus auf eine neue Nutzung. 

© Sammlung Sebastian Gulden/Nina Kammleiter Der gewaltige Block des Kaufhofs hatte die kleinteiligen Strukturen von einst abgelöst (1953). Mit kleineren Veränderungen hat sich der Zustand der 1960er Jahre bis heute erhalten. Nun wartet das Kaufhaus auf eine neue Nutzung. 

Wenn der Aufschrei mancher Zeitgenossen ob des Denkmalschutzes für den Kaufhof in der Königstraße eines gezeigt hat, dann dies: Beim Thema Denkmalpflege meinen viele mitreden zu können, ob sie nun von der Materie Ahnung haben oder nicht. Es scheint bisweilen, als seien wir Deutschen ein Volk selbsternannter Experten, nach Fukushima waren wir allesamt Atomphysiker, zu Corona-Zeiten Virologen. Fest steht: Diskussion ist wichtig, aber nur dann, wenn die Gesprächspartner zumindest mit den Grundlagen der Materie vertraut sind. „Informierte Meinung“ nennt man das.

Daher wollen wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, heute über unseren Kaufhof informieren, um Sie zu wappnen gegen Menschen, die Ihnen ihre uninformierte Meinung als einzig gültige Wahrheit aufs Auge drücken wollen.

Malerische Bebauung

An Stelle des seit Juni verwaisten Kaufhauses erstreckten sich zu reichsstädtischer Zeit 17 Anwesen. Die Parzellen waren ausnehmend dicht bebaut und besaßen meist nur winzige Hofräume. Das Wollengäßchen gab es bereits; es lag allerdings ein gutes Stück weiter südlich als heute, etwa auf der Mittelachse der jetzigen östlichen Kaufhausfassade.

Zwischen 1875 und 1879 entstand diese Fotografie der beiden Eckhäuser Königstraße 50 und 52 (von rechts), die zeigt, wie die Bebauung hier bis ins späte 19. Jahrhundert aussah. 

Zwischen 1875 und 1879 entstand diese Fotografie der beiden Eckhäuser Königstraße 50 und 52 (von rechts), die zeigt, wie die Bebauung hier bis ins späte 19. Jahrhundert aussah.  © Stadtarchiv Nürnberg, A 47/I Nr. KS-47-9, NNZ

Gestochen scharfe Fotografien überliefern uns das Bild einer malerischen, im Kern spätmittelalterlichen und im 19. Jahrhundert meist modernisierten Bebauung mit lebhafter Fassadenlinie, Sandstein- und Fachwerkbauten, Sattel- und Schopfwalmdächern.

Diesem pittoresken, aber nach damaligem Dafürhalten veralteten Baubestand ging es Ende des 19. Jahrhunderts Zug um Zug an den Kragen: Die Königstraße, schon immer eine wichtige Einfallstraße in die Nürnberger City, entwickelte sich zur Fress- und Schlafmeile.

Während es die sparsameren Wirte und Hausbesitzer bei kosmetischen Eingriffen wie neuen Schaufensteranlagen und vorgeblendeten Fensterrahmungen in diversen Neo-Stilen beließen, suchten andere den radikalen Bruch, heraus aus der malerischen, aber beengten Mittelalterromantik in eine neue Ära kosmopolitischer Grandeur mit vielgeschossigen Prunkbauten, die dem Besucher entgegenschrien: „Du bist zu Gast in einer Weltstadt!“

Indes ließen einige namhafte Architekten und Kunsttheoretiker das „alte Nürnberg“, nun geschätztes Kulturgut und internationale Touristenattraktion, nicht ohne Widerstand gehen: Der Zoff um Erhalt, Abbruch und Neubau – und wenn, dann in welcher Form – bestimmte dahier die Architekturdebatten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Zwei neue Hotels im Kaufhof-Karree zeigten einst die unterschiedlichen Wege, die Bauherrn, Planer und Stadt dabei beschritten.

Ein neuer Stil

Als Johann Baptist Zeltmeier, später bekannt als Inhaber des „Wittelsbacher Hofs“ und seiner spektakulären Pleite, um 1890 die beiden Eckhäuser an Stelle des Grundstücks Königstraße 52 für das Hotel „Monopol“ plattmachen ließ, lieferte Architekt Franz Xaver Ruepp ihm einen Entwurf, der mit seinem Rücksprung von der Straßenecke zwar Rücksicht auf die alten Strukturen nahm; stilistisch aber hatte der Prunkbau mit Fassadenschmuck, durchbrochenen Treppengiebeln und Erkerturm im Stil der Neorenaissance – abgesehen vielleicht von seinen Sandsteinfassaden – herzlich wenig mit dem Bilde „Alt-Nürnbergs“ gemein.

Um 1913 wechselten auf dem nachmaligen Kaufhof-Areal Neubauten des späten 19. und modernisierte Bürgerhäuser aus reichsstädtischer Zeit einander ab.

Um 1913 wechselten auf dem nachmaligen Kaufhof-Areal Neubauten des späten 19. und modernisierte Bürgerhäuser aus reichsstädtischer Zeit einander ab. © Sammlung Sebastian Gulden, NNZ

Mehr Fingerspitzengefühl bewies da Georg Richter, als er 1894 bis 1896 den Neubau des altehrwürdigen Hotels „Roter Hahn“ am nördlichen Ende des Quartiers umsetzen durfte: Auch Richter wiederholte die gestaffelte historische Fassadenlinie der Vorgängerhäuser. Anders als sein Kollege aber versah er Sandsteinfassaden und Dachlandschaften mit typischen Elementen Nürnberger Baukunst, namentlich der Spätgotik und Frührenaissance des 15. und 16. Jahrhunderts, mit Polygonal-, Rund- und Kastenerkern, profilierten Tür- und Fenstergewänden, Schweifgiebeln und reich beschnitzten Zwerchhaustürmchen mit spitzen Helmen.

Der katastrophale britische Luftangriff vom 2. Januar 1945 war es, der die Voraussetzungen schuf für einen neuerlichen radikalen Wandel auf dem völlig zerstörten Karree zwischen Mauthalle und Wollengäßchen: 1950 bis 1953 ließ die Kaufhof AG nach Planung von Franz Reichel und Robert Vogel auf der Trümmerwüste Nürnbergs erste bauliche Duftmarke der Wirtschaftswunderzeit errichten.

Der gewaltige, blockartige Baukörper des Kaufhauses mit seinem Skelett aus Stahlbeton sprengte so ziemlich alle baulichen Dimensionen, die die Nürnberger Altstadt bis 1945 gekannt hatte. Daran änderten auch das filigrane Flugdach, die Verkleidung der Vorhangfassaden mit Sandsteinplatten und das fast völlig in Glasfronten aufgelöste zurückgesetzte Attikageschoss wenig.

Der neue Kaufhof, er war gewiss eine hochwertige Architektur seiner Zeit, Rücksicht auf das Vorhandene aber – und das ist absolut typisch für die Kaufhausarchitektur seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert – konnte man Bauherrin, Planern und Stadt gewiss nicht vorwerfen. Kein Wunder, dass der Koloss wieder die Freunde „Alt-Nürnbergs“ auf den Plan rief: Es war die Geburtsstunde der „Vereinigung der Freunde der Altstadt Nürnberg“ (seit 1973 „Altstadtfreunde Nürnberg e. V.“).

Wie kurzlebig manch Architektur in Zeiten des Wirtschaftswunders war, beweist diese Künstlerkarte, die den Kaufhof nach dem Fassaden-Facelift von 1962 zeigt.

Wie kurzlebig manch Architektur in Zeiten des Wirtschaftswunders war, beweist diese Künstlerkarte, die den Kaufhof nach dem Fassaden-Facelift von 1962 zeigt. © Sammlung Sebastian Gulden, NNZ

Lange hatte Reichels und Vogels Schöpfung keinen Bestand: Bereits 1961 bis 1962 ließ der Kaufhauskonzern sie nach Planung von Hermann Wunderlich, Reinhold Klüser und Herbert Lochmann überarbeiten und mit jener Rasterfassade und Verkleidung aus hellen Jurakalkplatten versehen, die wir heute kennen.
Dieser frühe Wandel, Zeugnis für die rasche Frequenz, in der sich unsere Städte und ihre Konsumtempel in der Wirtschaftswunderzeit veränderten, und die dicht überlieferten inneren Strukturen und Ausstattungselemente mit „Kunst am Bau“ gaben den Ausschlag, den Nürnberger Kaufhof als Denkmal der Nachkriegsmoderne unter Schutz zu stellen.

Nun, liebe Leserinnen und Leser, wissen Sie vieles, wenn auch aufgrund des engen Rahmens gewiss nicht alles über unseren Kaufhof und seine Vorgeschichte. Wie immer sind uns Hinweise und Korrekturen willkommen, denn auch wir vom Projekt „Nürnberg – Stadtbild im Wandel“ wollen dazulernen und informiert sein. In diesem Sinne: Diskutieren Sie mit! Es ist Ihre Stadt, und Schutz und Erneuerung des Stadtbildes geht uns alle an.


Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de

Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel


Aufwendig recherchierte Artikel wie dieser sind in der Regel nur für Abonnenten lesbar – als besonderes Geschenk stellen wir diesen Text aber allen Nutzern zur Verfügung. Alle exklusiven Inhalte lesen Sie hier auf NN.de.

Verwandte Themen


Keine Kommentare