Auf der Spur einer historischen Postkarte

Gibitzenhof vor 100 Jahren: Weihnachten bei den Dumonts

22.12.2021, 12:01 Uhr
Buntes Vorstadt-Ensemble: 1944 wechselten am Dianaplatz, der damals noch namenlos war, klassizistische Vorstadthäuser des 19. und Mietshäuser des frühen 20. Jahrhunderts einander ab. Die Gibitzenhofstraße 173 ist links im Bild zu sehen.  

© Stadtarchiv Nürnberg, Karl Röser, StadtAN A 38 Nr. A38-K-35-17 Buntes Vorstadt-Ensemble: 1944 wechselten am Dianaplatz, der damals noch namenlos war, klassizistische Vorstadthäuser des 19. und Mietshäuser des frühen 20. Jahrhunderts einander ab. Die Gibitzenhofstraße 173 ist links im Bild zu sehen.  

Bilder aus der privaten Lebenswelt der Menschen, die vor über einem Jahrhundert in unserer Stadt gelebt haben, sind höchst selten. Fotos waren noch ein teurer Spaß, und die Bereitschaft, Fremden Einblick ins eigene Heim zu gewähren, war weit geringer als heute in Zeiten von Facebook, TikTok und Instagram, wo der unbedarfte Nutzer gerne mal mit Intimitäten wildfremder, aber geltungsbedürftiger Zeitgenossen überschüttet wird, die er eigentlich gar nicht so genau kennen möchte.

Mietshaus im Reformstil

Gottlob aber gab es in wohlhabenderen Familien schon damals die heute etwas verpönte Tradition des weihnachtlichen Familienfotos. Auch Familie Dumont du Voitel, die ihren französischen Namen den hugenottischen Wurzeln von Papa Walter verdankte, ließen um Heiligabend 1910 den Fotografen antreten, um sich in der heimischen guten Stube ablichten zu lassen.

Die Dumonts vor ihrem Christbaum anno 1910, von links nach rechts: Vater Walter, die beiden Töchter und Mutter Ida. Passend zum Anlass trugen alle vier ihre festlichste Garderobe zur Schau.  

Die Dumonts vor ihrem Christbaum anno 1910, von links nach rechts: Vater Walter, die beiden Töchter und Mutter Ida. Passend zum Anlass trugen alle vier ihre festlichste Garderobe zur Schau.   © unbekannt, Sammlung Sebastian Gulden

Ein Blick auf die Mienen lässt erahnen, dass vor allem Mutter Ida die Aktion für eine ganz tolle Idee hielt, während ihr Ehemann Friedrich und die beiden Töchter mit ihrem Püppi das Geknipse mit mehr oder minder stoischer Gelassenheit über sich ergehen lassen. Freilich nicht auf dem Bild ist Rudolf Dumont du Voitel, nachmals namhafter Journalist, der erst 1916 als Nesthäkchen in die Familie geboren wurde.

Blumentapete und Fellvorleger

Für die Familie war es das erste Weihnachten in ihrem neuen Zuhause in der Gibitzenhofstraße 173, wo sie eine komfortable Etagenwohnung im dritten Stock bezogen hatten. Erst kurz zuvor war das markante Mietshaus im modischen Reformstil, das der (uns leider namentlich nicht bekannte) Architekt mit einer malerischen Sandsteinfassade mit Kastenerker und kielbogigem Giebel versehen hatte, vollendet worden.

Bauherr und Vermieter war der Landwirt Wolfgang Kühnlein, dessen Hof vis-à-vis in der Meisenstraße 13 hinter dem Löffelholzschen Herrensitz lag (das zugehörige Wohnhaus existiert noch). Durch den schrittweisen Verkauf seiner Ackerflächen, die durch das beständige Anwachsen der Großstadt Nürnberg wertvolles Bauland geworden waren, hatte er es zu gewissem Wohlstand gebracht. Sein Monogramm und das Baujahr des Mietshauses prangen hoch oben im Giebel zur Gibitzenhofstraße.

Heute existiert von der malerischen Gruppe nur noch das Haus der Dumonts. Die beiden Nachbargebäude wurden im Bombenkrieg vernichtet und modern wiederaufgebaut, die alte Dianastraße (jetzt Dianaplatz) 7 wich 1968 einem Wohnkomplex.  

Heute existiert von der malerischen Gruppe nur noch das Haus der Dumonts. Die beiden Nachbargebäude wurden im Bombenkrieg vernichtet und modern wiederaufgebaut, die alte Dianastraße (jetzt Dianaplatz) 7 wich 1968 einem Wohnkomplex.   © Sebastian Gulden

Wertvoll ist das Foto auch, weil es uns einen kleinen Ausschnitt einer gutbürgerlichen Wohnung mit den typischen Statussymbolen aus der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg zeigt. Vor der floralen Tapete in Jugendstilformen steht die Kommode mit Spiegelaufsatz, deren Neorenaissance-Architektur damals schon etwas "Vintage" war. Links davon sehen wir ein Wandregal, auf dem sich allerhand Nippes, hier ein Zierkrug, abstellen ließ. Rechts neben Ida und ihrer älteren Tochter steht das Vertiko, gekrönt von einer (nachgemachten) chinesischen Porzellanvase und einer Büste. Die jüngere Tochter thront in einem damals schwer modernen Bugholz-Hochstuhl; vor hier liegt dahingebreitet der sündteure Fellvorleger.

Dürrer Weihnachtsbaum

Ach ja, und dann ist da natürlich der Christbaum, an dem echte Kerzen leuchten: Der hat mit unseren genormten Monokultur-Nordmännern wenig zu tun; sein sprichwörtlich urwüchsiges Aussehen war damals die Regel.

Mit ein paar Umwegen – Ida Dumont du Voitel hatte sich bei der Adresse vertan – reiste dieses Familienbild als Postkarte einmal quer durchs Deutsche Reich, erst nach Königsberg (dem Geburtsort von Walter) und dann nach Danzig zu einer gewissen Luise Teichert. Ihr schrieb Ida: "Mein geliebtes Liesel! Gestern erreicht mich Dein lieber Brief, der mich sehr erfreute, Du hast mir darin über das Weihnachtsfest alles so nett berichtet. Nun erhältst Du zur Belohnung dafür auch gleich dieses Kärtchen, das die neueste Aufnahme von uns darstellt. Du siehst darauf auch gleich, wie dein kleines Patenkindchen jetzt aussieht. Sie hat das von Dir geschenkte Kleidchen an, das ihr reizend steht. […] Es grüßt u. küßt Dich Deine Ida".

Da bleibt uns eigentlich nicht viel mehr, als uns den herzlichen Grüßen von Frau Dumont du Voitel anzuschließen und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen, ob nun mit Familienfoto vor dem Christbaum oder ohne.

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