Hier rund um den Kaulbachplatz finden sich viele schöne Gebäude. Die Häuser-Zwillinge Kaulbachstraße 21 und Schweppermanstraße 53 sind mit die erstaunlichsten.
© Maria Innoue-Krätzler
Hier rund um den Kaulbachplatz finden sich viele schöne Gebäude. Die Häuser-Zwillinge Kaulbachstraße 21 und Schweppermanstraße 53 sind mit die erstaunlichsten.

Bauplan zweimal verwendet

Hallo meine Schöne, wir kennen uns doch? Die hübschen Häuserzwillinge in Nürnbergs Norden

Fast könnte man an ein Déjà-vu oder einen schlechten Witz glauben: Bin ich nicht gerade schon an diesem Haus vorbeigekommen? Die Antwort lautet: Nein. Die beiden Mietshäuser Kaulbachstraße 21 und Schweppermannstraße 53 sehen einander nur zum Verwechseln ähnlich. Warum? Weil ihr Planer Gustav Hübler (1870-1963) den Bauplan einfach zweimal verwendete, wenn auch mit kleinen kosmetischen Änderungen.

Als Hübler 1904 die Parzelle in der Kaulbachstraße mit einem viergeschossigen Mietshaus bebauen ließ, entwarf er dazu eine gefällige Fassade zur Straße, das Erdgeschoss, die Rahmungen der gekuppelten Fenster, den zweistöckigen Kastenerker und das Zwerchhaus mit Schweifgiebel auf der Mittelachse aus gelbem Sandstein, der sich vom hellen Putz der aus Ziegeln gefügten Mauerflächen abhebt, und als Bekrönung ein Mansarddach mit Giebelgauben aus Holz. Die Gliederung und die Ornamente – hier Fischblasen, Maßwerk und Vierpässe, dort dorische Pilaster, korinthische Konsolen und Rankenwerk – zeigen die unverkennbaren Merkmale des „Nürnberger Stils“ mit seiner Mischung aus Elementen der späten Gotik und der Renaissance. Das Haus enthielt pro Stockwerk eine großzügige Wohnung, im Erdgeschoss überdies ein Ladenlokal, in dem bei Bauvollendung Adolf Lämmermann seine Bäckerei eröffnete.

Trotz etwas liebloser Modernisierungen hat sich das Mietshaus Kaulbachstraße 21 im Wesentlichen im Zustand seiner Bauzeit erhalten.

Trotz etwas liebloser Modernisierungen hat sich das Mietshaus Kaulbachstraße 21 im Wesentlichen im Zustand seiner Bauzeit erhalten. © Sebastian Gulden

Dass Hübler gleichzeitig als Bauherr und Architekt auftrat, war zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts im Nürnberger Baugeschehen nicht ungewöhnlich. Und: Der gebürtige Oberlausitzer hatte noch einen Trumpf in der Hinterhand. Denn die Ziegel für seine Bauten bezog er aus der eigenen Dampfziegelei, die er 1908 zusammen mit dem Fensterfabrikanten Ludwig Strobl in Siegelsdorf bei Veitsbronn eröffnet hatte. Später zog das Unternehmen nach Unterbürg um, ging aber 1957 in Konkurs.

Um 1905 sah das Haus Schweppermannstraße 53 seinem Pendant in der nahen Kaulbachstraße noch sehr ähnlich – eben wie ein Zwilling.

Um 1905 sah das Haus Schweppermannstraße 53 seinem Pendant in der nahen Kaulbachstraße noch sehr ähnlich – eben wie ein Zwilling. © Ansichtskarte: unbekannt /Sammlung Sebastian Gulden

Heute zeigt sich die Fassade deutlich vereinfacht, wenn auch nicht reizlos. Seit 2011 verdeckt zudem ein Zugang zum U-Bahnhof Kaulbachplatz die Aussicht.

Heute zeigt sich die Fassade deutlich vereinfacht, wenn auch nicht reizlos. Seit 2011 verdeckt zudem ein Zugang zum U-Bahnhof Kaulbachplatz die Aussicht. © Sebastian Gulden

Wie es dazu kam, dass der Mögeldorfer Steinmetz Andreas Friedrich anno 1905 dem Haus Schweppermannstraße 53 die nahezu identische Fassade vorblendete, wissen wir nicht. Wir dürfen aber annehmen, dass ihn Hüblers Entwurf aus der nächsten Nachbarschaft so überzeugte, dass er den Architekten für sein Projekt mit ins Boot nahm. Den Grundriss mit dem tiefen Rückflügel hat man einfach gespiegelt. Auch hier zog alsbald im Erdgeschoss Einzelhandel ein, und zwar die Kolonialwarenhandlung von Christine Baier, die ihr Angebot 1912 um Feuerwerkskörper erweiterte. Freilich, ein paar Unterschiede gibt es: So erhielt das Haus in der Schweppermannstraße einen Hauszugang über die Hofeinfahrt und die Fenster im dritten Obergeschoss bekamen waagrechte Stürze statt Stichbogenschlüssen. Die Fensterschürzen mit kunstvollem Rankenwerk in Sgraffito-Technik, wie sie in der Kaulbachstraße noch heute erhalten sind, sparte man sich.

Das eine Haus blieb erhalten, sein Häuser-Zwilling hatte ein anderes Schicksal

Die Schicksale der beiden Häuser schlugen über die Zeit unterschiedliche Wege ein: Während sich Hüblers Haus weitgehend im Originalzustand erhalten hat, musste der Friedrich‘sche Bau einige Verluste hinnehmen. Die Bauinschrift unter der Traufe und das Rankenwerk an den Fensterbänken hat man abgeschlagen. Warum? Möglicherweise motivierten Kriegs- oder Bauschäden zu diesem vermeintlich kleinen und doch so verheerenden Eingriff. Vielleicht war es aber auch der einfältige Wunsch nach einer versachlichten und dadurch „moderner“ wirkenden Fassade. Beiden Gebäuden widerfuhr der zweifelhafte Segen von Blecheinhausungen um die Gauben, neuer Eingangstüren und Fenster ohne Teilung. Nachvollziehbar ist freilich, dass man die Schaufenster der Bäckerei und der Lebensmittelhandlung irgendwann im Zuge des omnipräsenten Vorstadt-Ladensterbens abgemauert hat, um die Ladenlokale zu Wohnraum umzuwidmen.

Sei es, wie es sei. Einen weiteren Raubbau an den Fassaden (und im Falle der Kaulbachstraße 21 auch im Inneren) wird es nicht geben, denn beide Häuser stehen heute unter Schutz als Einzeldenkmal bzw. als Bestandteil des Ensembles „Gärten hinter der Veste“. Somit werden hoffentlich auch noch künftige Generationen in den verwirrenden Genuss der schmucken Häuserzwillinge kommen.

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de. Noch viel mehr Artikel des Projekts „Nürnberg – Stadtbild im Wandel“ mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-Wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel

Aufwändig recherchierte Artikel wie dieser sind in der Regel nur für Abonnenten lesbar – als besonderes Geschenk stellen wir diesen Text aber allen Nutzern zur Verfügung. Alle exklusiven Inhalte lesen Sie hier auf NN.de

Keine Kommentare