Corona hat Situation verschärft

Kinder lesen schlechter: Wie Paten helfen können

Alena Specht

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22.7.2022, 16:51 Uhr
Lesepatinnen und Lesepaten sind für Kinder beim Lesenlernen oft eine große Unterstützung und entlasten die Lehrkräfte. 

© imago images/Sabeth Stickforth, NNZ Lesepatinnen und Lesepaten sind für Kinder beim Lesenlernen oft eine große Unterstützung und entlasten die Lehrkräfte. 

A wie Apfel, B wie Bär und P wie Pinguin. Da fängt das Problem schon an. "Viele Kinder verwechseln Buchstaben wie B und P", sagt Peter Gruber. Er hatte 2019 die Gründung von "Mentor - Die Leselernhelfer" in Nürnberg initiiert und ist seitdem als Lesepate tätig. An zwei Grundschulen betreut der ehemalige Mittelschullehrer ehrenamtlich insgesamt sechs Schülerinnen und Schüler.

Während der Unterrichtszeit übt er mit den Kindern in Eins-zu-Eins-Betreuung das Lesen. "Überall da, wo ich mich melde, renne ich offene Türen ein", sagt der 72-Jährige. Denn die Probleme an den Grundschulen seien erheblich. "Es besteht großer Handlungsbedarf", sagt Gruber. Und Corona hat die Situation seiner Ansicht nach zusätzlich verschärft.

Ein halbes Jahr Rückstand

Diese Beobachtungen belegt eine Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Dortmund. Die Lesekompetenz von Viertklässlerinnen und Viertklässlern unterscheide sich deutlich von dem Stand vor der Pandemie. Im Sommer 2021 fehlte den Schülerinnen und Schülern im Vergleich zu 2016 rund ein halbes Lernjahr. Insgesamt 28 Prozent der Kinder hatten Probleme beim Lesen und beim Verstehen der Texte. Das waren sechs Prozent mehr als im Vergleichsjahr. Der Anteil der Jungen und Mädchen, die gut lesen können, war im selben Zeitraum um sieben Prozent gesunken.

Auch Franziska Haimerl kann das bestätigen. "Die Probleme sind schon ziemlich massiv", sagt die 70-Jährige, die über den Verein "Großeltern stiften Zukunft" als Lesepatin an der Theo-Schöller-Grundschule aktiv ist. Durch die Lesepatenschaft hat sie das Gefühl, "noch was Sinnvolles" zu machen. Während der Unterrichtszeit arbeitet Haimerl mit den Kindern in Kleingruppen. Durch Corona habe es ihrer Ansicht nach einen großen Einbruch gegeben, vor allem bei Kindern, die nicht von den Eltern unterstützt werden oder die zuhause eine andere Sprache sprechen. "Die Kinder bräuchten eine viel intensivere Förderung. Die Lesepatenschaft empfinde ich selbst eher als Tropfen auf dem heißen Stein."

Individuelle Betreuung

Doch Doris Reinermann-Kock, die Direktorin der Theo-Schöller-Grundschule, widerspricht. Mit den Lesepatenschaften habe sie bisher nur positive Erfahrungen gemacht. Die Patinnen und Paten geben keine Noten und haben dadurch einen ganz andere Bindung zu den Kindern. Außerdem sei es bei 25 Kindern in einer Klasse für die Lehrkraft kaum möglich zu beurteilen, welches Kind den Text wirklich verstanden hat. In den kleinen Gruppen könnten die Lesepatinnen viel individueller auf die Schülerinnen eingehen und ihnen die komplette Aufmerksamkeit schenken.

Dass Corona die Probleme verschärft habe, könne die Direktorin aber nicht bestätigen. "Ich hatte vor Corona das ganze Spektrum und ich habe nach Corona das ganze Spektrum. Die Schere ist nach wie vor da." Es gebe sogar Kinder, die durch die Pandemie deutlich besser lesen als davor, weil sie einfach viel mehr Zeit dafür hatten und keinem anderen Hobby nachgehen konnten.

Auch der Hund kann helfen

Bei anderen hingegen habe sich die Lesefähigkeit rudimentär verschlechtert. Sie konnten lesen, aber keiner hat es im Lockdown mit ihnen geübt, so Reinermann-Kock. Und dann fehle es den Kindern an Antrieb. "Jeder, der dem Kind beim Lesen zuhört, hilft ihm besser lesen zu lernen", sagt die Direktorin. "Und wenn es der Hund ist." Die Lesepaten sieht sie als "wahnsinnige Motivationshelfer", und auch im nächsten Schuljahr soll jede Lehrkraft, die das möchte, einen Lesepatin an die Seite gestellt bekommen.

Denn das Problem der fehlenden Lesekompetenz wird sich weiter verschärfen, wenn immer mehr ukrainische Kinder die Schule besuchen, fürchtet Lesepatin Franziska Haimerl. "Um da zu unterstützen, braucht man auf jeden Fall mehr Lesepatinnen und -paten." Sie sei schon wieder auf der Suche nach engagierten Menschen für das nächste Schuljahr.

Die Nachfrage fehlt

Doch auch das ist möglich: Es gibt ein Angebot, aber es wird nicht genutzt. Die Inopia Foundation, eine Initiative junger Menschen, die sich für Bildungsgerechtigkeit einsetzen, bietet seit 2020 Lesepatenschaften an. Aber niemand nimmt die Möglichkeit wahr, beklagt Vorstand Alexander Frankow. Lesepaten und Kinder, die Unterstützung brauchen, können sich auf der Plattform online registrieren und die Initiative vermittelt den Kontakt.

Sie seien auch bereits an Schulen herangetreten, doch die hätten durch Corona andere Probleme, so der 26-Jährige. "Das war den Lehrkräften zu viel." Lesepatinnen und -paten wären da, doch warum die Nachfrage nach Unterstützung so gering ist, könne Frankow nicht sagen. "Ich weiß nicht, was die Leute davon abhält. Es ist ernüchternd. Wir hätten mehr Kindern helfen können."

Wer Interesse daran hat, eine Lesepatenschaft zu übernehmen oder wessen Kind Hilfe beim Lesenlernen braucht, kann sich in der Broschüre des "Lesekochs" informieren. Diese wurde von Siegbert Rudolph, dem Gründer der ehrenamtlichen Initiative zur Unterstützung von Schülern mit Leseschwierigkeiten, und dem Verein "1-2-3" aus dem Landkreis Fürth erstellt.

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