Das Wahrzeichen und seine Wirkung

Tausendfach geknipst und immer noch schön: der Sinwellturm auf der Kaiserburg

11.12.2022, 14:55 Uhr
Wie eine romantische Burg auf dem Lande wirkt diese gemalte Ausgabe des Sinwellturms und seiner Umgebung, die ein unbekannter Maler 1904 geschaffen hat.  

© Grafik Verlag Hermann Martin (Sammlung Sebastian Gulden) Wie eine romantische Burg auf dem Lande wirkt diese gemalte Ausgabe des Sinwellturms und seiner Umgebung, die ein unbekannter Maler 1904 geschaffen hat.  

Es ist eine der am meisten gesehenen und fotografierten Ansichten Nürnbergs: Der Blick vom Tor des Inneren Burghofs gen Osten auf das Brunnenhaus, den Sinwellturm und das Tor zur Burgfreiung. Schon die Altvorderen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts schätzen diese Burgenromantik, sommers wie winters.

Touristenmagnet seit der Romantik

Eigentlich ist es nicht die Art des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel", sich mit ausgelutschten Motiven zu befassen. Manchmal aber können auch wir Freunde des Unerforschten uns der Schönheit des Wohlbekannten nicht erwehren. Die Romantik mit ihrem Faible für das Mittelalter und seine malerische, ja oftmals märchenhafte erscheinende Architektur entdeckte im frühen 19. Jahrhundert das alte Nürnberg und insbesondere seine Burg als Sehnsuchtsort und Touristenmagnet.

"Besuchet Nürnberg!" Um 1910 warb der Nürnberger Fremdenverkehrs-Verein mit dem Konterfei des Sinwellturms um die Gunst der Touristen.  

"Besuchet Nürnberg!" Um 1910 warb der Nürnberger Fremdenverkehrs-Verein mit dem Konterfei des Sinwellturms um die Gunst der Touristen.   © Verlag Ernst Nister (Sammlung Sebastian Gulden)

Einer der ersten, die die malerische Ansicht auf den Sinwellturm in einer Zeichnung festhielten, war der Hobbykünstler Otto Friedrich Graf von Baudissin im August 1822 – zu finden ist sie im Kupferstich-Kabinett Dresden. Unzählige Inschriften, die Besucherinnen und Besucher im Inneren des Turm eingeritzt haben, bestätigen die Beliebtheit nicht nur des Turms selbst, sondern auch der Aussicht, die sich von ihm auf die Stadt und ihr Umland bietet.

Schnee oder Kunstschnee?

Die Fotografen und Ansichtskartenverlage des 19. und 20. Jahrhunderts schlugen mächtig Kapital aus der altdeutschen Burgenromantik und verlegten das Motiv in diversen Varianten. Neben Fotografien, etwa vom Nürnberger Fotopionier Ferdinand Schmidt, von Hermann Martin oder Karl Ellinger, kamen rasch nachkolorierte und stark retuschierte Drucke in die Andenkenläden. Da gab man sich sogar die aus technischen Gründen nicht ganz unerhebliche Mühe, ein Winterfoto des Ensembles zu schießen, auf dem echter Schnee liegt und kein Kunstschnee aus der Farbtube des Retuscheurs.

Künstliche Farben, aber echten Schnee bietet diese Ansichtskarte der Zeit um 1905. Sie gehörte zu einer Serie von Winterkarten, die der Verlag Ernst Nister anbot.  

Künstliche Farben, aber echten Schnee bietet diese Ansichtskarte der Zeit um 1905. Sie gehörte zu einer Serie von Winterkarten, die der Verlag Ernst Nister anbot.   © Verlag Ernst Nister (Sammlung Sebastian Gulden)

Ende 2016 war kein Schnee in Sicht, und die Zeugnisse der Burgsanierung störten den Ausblick. Romantisch war und ist das Motiv dennoch.

Ende 2016 war kein Schnee in Sicht, und die Zeugnisse der Burgsanierung störten den Ausblick. Romantisch war und ist das Motiv dennoch. © Sebastian Gulden

Ein besonders reizvolles, nachträglich eingefärbtes Beispiel liefert unsere Winterkarte aus dem renommierten Verlag Ernst Nister aus der Zeit um 1905. Unsere Sommerversion dagegen ist eine so genannte "Künstlerkarte", die ein Maler wohl speziell für den Druck als Postkarte geschaffen hat. Ferner gibt es mindestens zwei gemalte Versionen des Motivs aus der Hand des bekannten Nürnberger Malers Lorenz Ritter.

Ein Machtsymbol

Der Sinwellturm gehört nicht zum ältesten Bestand der Nürnberger Burg. Er wurde erst nach Ende des 13. Jahrhunderts aus Sandsteinquadern auf einem Felsen errichtet und war ehedem wohl nur von einer Plattform mit Zinnenkranz bekrönt. Als höchster Turm der Burg diente er als "Bergfried", als Aussichtswarte, Hauptwehrturm und von Weitem sichtbares Symbol der Macht. Ein Turm, der ins Land schreit: Hier wohnt der Kaiser (zumindest hin und wieder)!

Seinem kreisrunden Grundriss und der anfangs schlichten Kubatur verdankt er seinen Namen: Das mittelhochdeutsche "sinwel" bedeutet in etwa "walzenförmig". Erst 1561 wuchs er mit seinem auskragenden Obergeschoss mit Zeltdach und Laterne auf die heutige Höhe von 41 Metern bis hinauf zur Wetterfahne.

Stadtlogo und Spardose

Ein unbekannter Zeichner hielt die neue Ansicht des Turms in einer kolorierten Federzeichnung fest, die das Germanische Nationalmuseum verwahrt. Das vorgelagerte Brunnenhaus und sein Anbau mit Erdgeschoss aus Sandsteinquadern und Obergeschossen aus Fachwerk entstand 1564; gleichzeitig erweiterte man das nördlich gelegene Sekretariatsgebäude, worin jetzt das Burg-Café Beer sitzt.

Eines der vielen Wunder inmitten der Zerstörung: 1945 liegen Luginsland und Kaiserstallung in Ruinen, doch fern ragt unbeschädigt der Sinwellturm aus den Trümmern.  

Eines der vielen Wunder inmitten der Zerstörung: 1945 liegen Luginsland und Kaiserstallung in Ruinen, doch fern ragt unbeschädigt der Sinwellturm aus den Trümmern.   © unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Die ebenso funktionale wie auffällige Gestaltung des Turmkopfes wurde zu einem Markenzeichen reichsstädtischer Wehrarchitektur und Alt-Nürnbergs insgesamt. Denn auch die vier Tortürme der letzten Stadtmauer und die Ecktürme der Nürnberger Festung Lichtenau erhielten im 16. Jahrhundert diese Charakterköpfe aufgesetzt. Gut möglich, dass die Baumeister ihre Wirkung als "Corporate Architecture" bereits erkannten. In jedem Falle taten das die Marketing-Abteilungen der Stadt, von Firmen und Institutionen, die diverse Artikel von der Reklamemarke bis zur Spardose damit ausstatteten.

Der Turm ragte noch aus den Trümmern

Der Sinwellturm überstand im Gegensatz zu weiten Teilen der übrigen Burg die Stürme der Zeiten, auch den verheerenden britischen Luftangriff am 2. Januar 1945. Die jüngste Sanierung der Kaiserburg hat bekanntlich ziemlich lange gedauert und ging 2021 nach sechs Jahren zu Ende.

Immer wieder sind wir in der Vergangenheit zur Burg getigert, um ein aktuelles Vergleichsfoto der beliebten "Partie auf der Burg" zu machen. Sie sehen, auch bei unserem Versuch 2016 versaubeutelte eine unübersehbare Abfangvorrichtung unser Foto. Egal, erachten Sie es als Zeitdokument. Am Ende bleibt ja doch die Einsicht, dass selbst die größte Baustelle ein wirklich romantisches Motiv nicht verhunzen kann. Wäre ja noch schöner!

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de

Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel


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