Wer blickt noch durch?

Bundestag: Das haben wir jetzt davon, dass eine Politik-Blase am Wahlrecht herumbastelt

Manuel Kugler

Redaktion Politik und Wirtschaft

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18.3.2023, 10:46 Uhr
Ein Wähler wirft seinen Stimmzettel zur Bundestagswahl in die Wahlurne. 

© Michael Kappeler, dpa Ein Wähler wirft seinen Stimmzettel zur Bundestagswahl in die Wahlurne. 

In Deutschland ist eine Blase entstanden - und das diesmal ganz ohne Facebook. Ein Diskursraum also, in dem ein Teil der Gesellschaft unter sich bleibt und Stimmen von außerhalb nicht mehr durchdringen. Diese Blase entscheidet gerade darüber, wie wir künftig den Bundestag wählen. Ihr gehören die Politikerinnen und Politiker an, die das Wahlrecht gestalten, sowie die Journalisten und Wissenschaftlerinnen, die über ihre Pläne befinden. Allesamt Menschen also, die sich von Berufswegen einen beträchtlichen Teil ihres Tages mit Politik beschäftigen können.

Die Ampel hat ein Monster geschaffen

Nun ist es nicht so, dass in dieser Blase keine klugen Köpfe säßen, im Gegenteil: Die Pläne für ein neues Wahlrecht zeugen, bei allen Differenzen, von einem grundsätzlichen Bemühen, ein Wahlrecht zu schaffen, das a) den Bundestag verkleinert und b) die Fairness zwischen den Parteien im Großen und Ganzen gewährleistet. Nur haben sie in der Blase diejenigen vergessen, die am Ende abstimmen sollen: die Bürgerinnen und Bürger.

Im Versuch, es vielen Recht zu machen, hat die Ampel-Koalition ein Monster geschaffen, das kaum einer, der nicht die Zeit hat, sich vor der Stimmabgabe eine mehrseitige Anleitung durchzulesen, mehr versteht: Über die Zusammensetzung des Bundestags entscheidet allein die Zweitstimme, trotzdem sollen Wahlkreise und Direktmandate erhalten bleiben - was gerade in Bayern aber dazu führen kann, dass der Kandidat mit den meisten Stimmen vor Ort - der zweifellos am besten geeignet wäre, der fernen Berliner Politik ein Gesicht zu geben - keinen Sitz im Parlament erhält. Man mag das begründen können - vermitteln kann man es den Bürgerinnen und Bürgern kaum.

Es ist schon richtig, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können - in ihren ursprünglichem Plan sah die Ampel eine "Ersatzstimme", also eine dritte Stimme vor, womit endgültig der Punkt erreicht worden wäre, es gleich sein lassen zu können, noch irgendeinem Bürger das System nahezubringen. Ebenso richtig ist, dass auch das bestehende System mit seinen Überhang- und Ausgleichsmandaten in seiner Funktionsweise nur schwer nachvollziehbar ist.

Doch es hätte sie ja gegeben, die Alternativen, die ohne die Komplexität und Demokratiedefizite des jetzigen Plans ausgekommen wären: ein Grabenwahlsystem zum Beispiel, in dem die Hälfte des Bundestags mit der Zweitstimme besetzt worden wäre und die andere Hälfte mit den Siegerinnen und Siegern in den Wahlkreisen.

Die Beschlüsse der Ampel sind deshalb mindestens das: eine vergebene Chance, von Grund auf ein neues, einfaches Wahlrecht zu schaffen, dessen Funktionsweise auch denjenigen ersichtlich gewesen wäre, die in ihrem Leben anderes zu tun haben, als sich fast ausschließlich mit Politik zu beschäftigen.

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