Kabinett entscheidet

Deutsch und Mathe kommen, Religion bleibt, die musischen Fächer müssen leiden

Roland Englisch

Nürnberger Nachrichten

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27.2.2024, 18:00 Uhr
Bildungsministerin Anna Stolz (Freie Wähler) scheut den Konflikt nicht. Mit ihrer Forderung nach weniger Religionsunterricht an den Grundschulen allerdings scheitert sie an den Kirchen und an der CSU.

© Lennart Preiss, dpa Bildungsministerin Anna Stolz (Freie Wähler) scheut den Konflikt nicht. Mit ihrer Forderung nach weniger Religionsunterricht an den Grundschulen allerdings scheitert sie an den Kirchen und an der CSU.

Mehr Deutsch, mehr Mathe, aber nicht weniger Religion: An Bayerns Grundschulen wird sich der Unterricht verändern. Es ist die Konsequenz aus dem Abschneiden der Kinder und Jugendlichen bei der jüngsten Pisa-Studie. Und es ist das Ende eines kurzen Machtkampfes im Kabinett.

Mehr als irgendwo anders

Bildungsministerin Anna Stolz von den Freien Wählern hält zwar das Mehr an Unterricht in den beiden Kernfächern für richtig. Sie hatte sich aber als Ausgleich weniger Religionsunterricht vorgestellt. Drei Stunden gibt es wöchentlich in den dritten und vierten Klassen, so viel wie in keinem anderen Bundesland. Allerdings hat CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder interveniert, kaum dass Stolz ihre Idee öffentlich gemacht hatte.

"Ich stehe dazu, dass dies den Schulen mehr Spielraum gegeben hätte", sagt sie, die keine Niederlage sehen will. Sie bleibe am Ball, denn "beste Bildung braucht auch den Austausch über sensible Themen." Gespräche mit Kirchenvertretern und dem Koalitionspartner hätten ihr gezeigt, "dass sie sich diese Flexibilisierung nicht vorstellen können". Im Übrigen sei sie ans Konkordat gebunden. Der Vertrag zwischen den Kirchen und dem Freistaat wird im November hundert Jahre alt und schreibt unter anderem Religionsunterricht an allen Schularten vor.

"Epochaler Unterricht"

Weil sich aber die Zahl der Unterrichtsstunden für die Erst- bis Viertklässler nicht erhöhen soll, muss Stolz nun bei anderen Fächern streichen. Denn weniger Sport hat wiederum sie selbst ausgeschlossen; für die Ministerin wäre hier ein mehr an Unterricht wünschenswert. Dafür trifft es jetzt die Fächer Kunst, Musik und Werken und Gestalten sowie den Englisch-Unterricht. Ihm wird eine Stunde in der Woche gestrichen. Die drei anderen Fächer sollen einen so genannten Verbund bilden und ihre Stunden künftig teilen. Stolz spricht von einem "epochalen Unterricht": Die Schulen entscheiden, wann sie welches Fach heranziehen. Denkbar sei etwa Kunst in der ersten Jahreshälfte und Musik in der zweiten.

Für Stolz entscheidend ist, dass sie den Schulen mehr Freiraum gibt, wie sie den Unterricht gestalten. "Sie sollen die Zeit zielgerichtet nutzen", sagt die Politikerin. So genannte Lesescreenings sollen sie unterstützen und den Stand der Schüler zeigen. Denn das haben die Tests in den vergangenen Monaten vor Augen geführt: Ende der vierten Klasse können jeder siebte Schüler, jede siebte Schülerin noch nicht ausreichend lesen und rechnen. Bei der Rechtschreibung ist es jeder Fünfte.

Die Bildungsministerin will in den kommenden Monaten zudem alle Lehrpläne überprüfen lassen. "Wir wollen mehr Zeit und Raum für die Basiskompetenzen schaffen", sagt sie. Dazu müsse der Lehrplan entrümpelt werden, damit die Schulen die frei werdenden Kapazitäten nach eigenem Bedarf verteilen können.

Die Sprachtests kommen

Ebenfalls auf der Agenda: verpflichtende Sprachtests für alle Kinder, bevor sie in die Grundschule kommen. Im Prinzip gibt es sie schon. Laut Sozialministerin Ulrike Scharf finden die Sprachstandtests zu Beginn des vorletzten Kitajahres statt und damit zu einem Zeitpunkt, an dem 94 Prozent aller Vorschulkinder in einer Kita sind. Bislang aber brauchen die Behörden die Zustimmung der Eltern, wollen sie die Kinder wegen mangelnder Deutschkenntnisse zurückstellen.

Das wird ab Frühjahr 2025 anders sein. Mit viereinhalb Jahren müssen dann alle Vorschulkinder zum ersten Sprachtest. Zeigen sich Defizite, kommen sie in spezielle Deutschkurse. Bestehen sie den zweiten Test ein halbes Jahr vor dem Schultermin erneut nicht, können die Verantwortlichen sie zurückstellen und erst ein Jahr später in die Schule lassen. Wie genau das Konzept für die gezielte Sprachförderung aussehen wird, lassen Stolz und Scharf noch offen. Derzeit erarbeiten ihre Fachleute die entsprechenden Stundenpläne.

Und auch das hat das Kabinett abgesegnet: Nach und nach sollen alle Schülerinnen und Schüler im Freistaat ein so genanntes digitales Endgerät erhalten, sei es ein Notebook oder Tablet. 350 Euro schießt das Land bei jedem Kind zu, den Rest müssen die Eltern selbst aufbringen. Leihgeräte an den Schulen sollen soziale Härten abfedern.

Lehrkräfte wollen mitreden

Kritik bleibt natürlich nicht aus. Für die Grünen bemängelt Gabriele Triebel, "das Streichkonzert der Söder-Regierung" sei "ganz sicher nicht der richtige Weg hin zu gerechteren Chancen bei der Bildung". Sie stört, dass musische Fächer gekürzt werden sollen; das sei ein Nachteil vor allem für Kinder aus sozial schwächeren Familien, die damit zuhause nicht in Berührung kämen. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband wiederum fordert bessere Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte, die das Konzept umsetzen müssen. Und er erwartet, dass es ein Mitspracherecht für sie geben wird.

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