Austritte und Wahlniederlagen

Domino-Effekt bei den Grünen: Wie sich eine Regierungspartei zerlegt

Harald Baumer

Berlin-Korrespondent

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27.9.2024, 14:39 Uhr
Sie machten den Auftakt: Erst traten die Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie ihr gesamter Vorstand zurück, dann folgten weitere Konsequenzen.

© IMAGO/IMAGO/Political-Moments Sie machten den Auftakt: Erst traten die Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie ihr gesamter Vorstand zurück, dann folgten weitere Konsequenzen.

Es ist schon erstaunlich. Drei Jahre lang haben die Grünen als Regierungspartei zusammengehalten. Es gab nur wenig internen Streit, das Führungspersonal war allseits akzeptiert. Und jetzt zerlegt sich die Partei in einem rasenden Tempo vor aller Augen.

Es ist ein Dominoeffekt eingetreten: Erst traten die Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie ihr gesamter Vorstand zurück, dann die Führungscrew der grünen Jugend auf Bundesebene und schließlich noch deren bayerische und niedersächsische Ableger.

Warum jetzt? Warum in so rascher Abfolge? Mit dem Ausscheiden aus dem brandenburgischen Landtag (4,1 Prozent) holten die Grünen das vierte schlechte Ergebnis in Folge. Zuvor waren es Europa, Sachsen und Thüringen gewesen. Das setzte Fliehkräfte frei, die zuvor gerade noch hatten unterdrückt werden können.

Bange Blicke auf die Bundestagswahl

Die Unzufriedenheit gibt es schon lange. Der linke Flügel und die Jugend vermissen eine konsequente Klimapolitik und halten die Migrationspolitik der Ampel für viel zu restriktiv. So lange es keine dramatisch schlechten Wahlergebnisse gab, nahmen sie das jedoch zähneknirschend hin. Aber nun ist dieses Argument weg. Bei der nächsten Bundestagswahl könnten die Grünen ein Drittel ihrer Stimmen von 2021 verlieren. Platz fünf hinter Union, SPD, AfD und eventuell sogar noch BSW scheint vorstellbar, wenn es so weiter geht.

Dabei haben die Grünen in der Koalition durchaus Spuren hinterlassen. In der Migrationspolitik sind sie inzwischen die Letzten, die noch Reste der alten Asylpolitik erhalten wollen. Das ist ja auch der Grund dafür, warum sie von AfD und BSW am meisten gehasst werden. Mehr als das Erreichte war in den zurückliegenden Jahren nicht drin, schließlich ist man ja nur einer von drei Partnern.

Aber der Moralismus vieler Mitglieder und Funktionäre lässt es jetzt offensichtlich nicht mehr als Argument gelten, das "Schlimmste" aus Sicht der Grünen verhindert und etliche Projekte im Umwelt- und Energiebereich durchgesetzt zu haben. Einige aus der grünen Jugend denken daran, eine neue linke Bewegung ins Leben zu rufen. Das Schicksal der Linkspartei verheißt ihnen nichts Gutes. Die Zeichen stehen in ganz Europa nicht mehr auf einem Linkskurs.

Jetzt heißt es in der Grünen-Spitze, noch sei für 2025 nicht alles verloren. Das hätten ja Olaf Scholz und die SPD bewiesen, als sie beim letzten Mal einen gewaltigen Rückstand aufholten. Diese Erkenntnis ist nicht falsch, hat aber einen Denkfehler: Das klappte nur, weil es einem die Union als Gegner leicht machte. Dafür gibt es im Moment keine Anzeichen. CDU und CSU liegen in den Umfragen stabil über 30 Prozent.

FDP-Schicksal als Warnung

Es wird spannend sein, zu verfolgen, ob sich die Grünen in den nächsten Monaten wieder stabilisieren können. Sie müssen sich nur in der Ampel-Koalition umschauen, wenn sie sehen wollen, wie es noch schlimmer kommen könnte. Die allmähliche Selbstauflösung der FDP sollte ihnen eine Warnung sein.

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