Der neue Star im linken Lager: Heidi Reichinnek, Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag.
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Der neue Star im linken Lager: Heidi Reichinnek, Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag.

Kommentar

Heißer Kampf um linke Wähler: Grüne und Linkspartei liegen nahezu gleichauf

Winfried Kretschmann ist einer der erfolgreichsten Politiker in der Geschichte der Grünen. Dreimal nacheinander wurde er im strukturell sehr konservativen Baden-Württemberg zum Ministerpräsidenten gewählt. Insofern ist es höchst bemerkenswert, dass er gerade erst der Vorsitzenden der Grünen Jugend, Jette Nietzard, und ihrem Umfeld öffentlich den Parteiaustritt empfahl. „Verlasst uns einfach“, sagte er.

Dahinter steckt viel mehr als der vorausgegangene höchst unglückliche Auftritt der Mittzwanzigerin, die sich mit einem Sweatshirt-Aufdruck als Polizistenhasserin präsentiert hatte und sich nur halbherzig davon distanzierte.

Die Grünen: Grundsätzliche Frage steht an

Es geht in Wahrheit um nichts Geringeres als den Kurs der Partei in den kommenden vier Oppositionsjahren. Die Grundfrage: Betrachten sich die Grünen weiterhin als eine Kraft der Mitte wie Union und SPD oder wollen sie der Linkspartei den Platz um die Meinungsführerschaft im linken Lager streitig machen?

Die Umfragen verheißen momentan nichts Gutes für die Grünen. Beim Meinungsforschungsinstitut Forsa liegen sie mit den Linken in der Sonntagsfrage gleichauf. Beide haben elf Prozent. Die Linkspartei verdankt das ihrem Kurs in Sachen Ukraine-Krieg, Mieterrechten und Reichenbesteuerung. Dazu kommen noch das Redetalent und der Coolness-Faktor der Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek.

Es besteht die Gefahr, dass die immer noch starke linke Anhängerschaft der Grünen, vor allem unter den jungen Menschen, sich der „reinen Lehre“ von Reichinnek & Co. zuwendet. Das könnte schon bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr deutlich zu spüren sein.

Kommt man allerdings von Seiten der Grünen dieser links ausgerichteten Wählerschaft programmatisch entgegen, dann wächst die Unruhe im Realo-Lager. Ein Cem Özdemir etwa könnte in Baden-Württemberg niemals nächster Ministerpräsident werden, wenn seine Partei bei den Wählerinnen und Wählern unter „Linksverdacht“ steht.

Ein kaum auflösbarer Konflikt, der sich da auftut. Aber auch ein Beweis dafür, wie sehr die Grünen in der politischen Mitte angekommen sind. In dieser Position kann sich jede zu starke Bewegung nach links oder rechts nachteilig auswirken. Das weiß die SPD aus eigener Erfahrung, die wegen der Sozialreformen von Gerhard Schröder viele Mitglieder an die Linkspartei verlor.

Linke oder Grüne: Wer geht weiter nach links?

Eines sollten die Grünen bedenken, wenn sie sich auf ihre zukünftige politische Ausrichtung festlegen: Jeden Schritt nach Links wird die Linkspartei mit einem noch stärkeren Schritt in diese Richtung beantworten. Die Linkspartei hat keinen Ruf als regierungstaugliche Kraft zu verlieren. Mit ihr will auf Bundesebene sowieso niemand eine Koalition eingehen.

Vermutlich werden über kurz oder lang etliche Mitglieder der Grünen Jugend in Richtung Linkspartei abwandern, weil ihnen die eigene Partei zu uneindeutig ist. Dazu hätten die Betroffenen des großväterlichen Rates von Wilfried Kretschmann gar nicht erst bedurft.

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