
Kommentar
Nun reicht es dem Präsidenten: Er steigt selbst in Aufarbeitung der Corona-Pandemie ein
Auch einem Bundespräsidenten platzt mal der Kragen. Das ist jetzt offensichtlich der Fall gewesen. Weil sich der Bundestag auch nach Jahren des Diskutierens nicht dazu in der Lage sah, lädt Frank-Walter Steinmeier selbst mit all seiner Autorität zu einer gesellschaftlichen Aufarbeitung der Corona-Pandemie ein.
Am 14. März treffen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Altenpflege, Schulen, Kultur und Kommunen zum Austausch im Schloss Bellevue, dem Berliner Amtssitz des Präsidenten. Die ganz große Lösung kann das nicht werden, denn dazu braucht es viele Wochen oder Monate. Aber es ist ein Signal an den nächsten Bundestag, der ab Ende des Monats seine Arbeit aufnimmt: Tut endlich was!
Öffentlich vorgeführt
Die Politik braucht sich nicht darüber beschweren, dass das Staatsoberhaupt sie jetzt öffentlich so vorführt. Oft genug hat er in Reden gemahnt, die Fragen des politischen Umgangs mit der Pandemie müssten rückwirkend ausführlich besprochen werden. Es gibt ja nicht gerade wenige kritische Punkte, wenn man zum Beispiel an Schulschließungen, die Isolierung von Kranken und Alten sowie an den Streit um die Impfpflicht denkt.
Wichtig ist das alles deswegen, weil eine geglückte Aufarbeitung auf drei Zeitebenen etwas zum Besseren wenden kann. Der mögliche Ertrag wäre also enorm und der Aufwand wäre deswegen vertretbar. Selbst angesichts großer aktueller Probleme wie der nationalen und der internationalen Sicherheit und der schwächelnden Wirtschaft könnte man ein wenig Aufwand für diese "Altlast" rechtfertigen.
Worum geht es? Um die Vergangenheit: Vielen Menschen wurde Leid zugefügt, weil die Vorschriften auch dann noch allzu streng ausgelegt wurden, als man es schon besser hätte wissen können. Um die Gegenwart: Immer noch gilt das Thema Corona vielen als ein entscheidendes Argument für populistische Wahlentscheidungen. Das müsste nicht so sein. Um die Zukunft: Wir wissen nicht, wann wir es mit der nächsten Pandemie zu tun haben. Aber wir sollten unbedingt vermeiden, die alten Fehler wiederholen, wenn es so weit ist.
Steinmeiers Vorpreschen, wenn man es denn im März 2025 überhaupt so nennen mag, ist ein gar nicht so schlechtes Zeichen für unser oft beschimpftes System. Erst war die Rechtsprechung an der Reihe, unangemessene Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz und anderer Gremien zu korrigieren. Sie tat das in zahlreichen Fällen. Dann hätte die Politik mit Maßnahmen wie Enquete-Kommission und Bürgerrat reagieren können. Weil sie das nicht tat, macht ihr nun das unabhängige Staatsoberhaupt Beine.
Nicht bis 2026 warten
Rund zwei Jahre nach dem Auslaufen der letzten verpflichtenden Corona-Schutzmaßnahmen ist es höchste Zeit für diese Debatte. Würde sie noch weiter nach hinten verschoben, etwa in das Jahr 2026 hinein, dann würden der sachliche Bezug und die Erinnerung immer mehr verblassen. Das behindert eine Aufarbeitung oder verhindert sie im schlimmsten Falle sogar.
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