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Das Mittelgebirge Sierra Morena ist für seine Nebelschwaden bekannt, die auch über die sie durchquerende Autobahn wabern. Hier befinden sich die Neuen Siedlungen der Deutschen.
© Benjamin Huck
Das Mittelgebirge Sierra Morena ist für seine Nebelschwaden bekannt, die auch über die sie durchquerende Autobahn wabern. Hier befinden sich die Neuen Siedlungen der Deutschen.

Neue Heimat Andalusien

„Neue Siedlungen“: Warum ein Niederbayer ab 1767 tausende Deutsche nach Spanien brachte

Das grün lackierte Garagentor in der Calle Cinco de Junio wirkt unscheinbar. Mit einem Knarzen öffnet es sich zur Seite und zeigt den Schatz von Francisco Gonzalez Teclemayer: Tausende Kartons mit Puzzeln. „Während Corona mussten wir daheim bleiben und haben die Liebe zum Puzzeln entdeckt“, erzählt Teclemayer, dem es besonders die Motive der deutschen Marke mit dem blauen Dreieck angetan haben.

Vielleicht liege seine Leidenschaft an der Familiengeschichte, meint Teclemayer. Denn der Spielwarenladenbesitzer aus dem spanischen La Carolina ist Nachfahre deutscher Siedler in Andalusien.

Die Sierra Morena liegt im Norden Andalusiens, etwa drei Stunden südlich von Madrid. Im 18. Jahrhundert hatte König Karl III. eine Idee: Er wollte in dieser abgelegenen Region neue Dörfer gründen – mit gleichberechtigten Bauern, Schulen und besserer Versorgung. Es sollte ein Vorzeigeprojekt der Aufklärung werden.

Die größte der sogenannten Neuen Siedlungen ist heute La Carolina mit knapp 15.000 Einwohnern. Typisch für diese Orte ist ihr rechtwinkliger Grundriss mit großem Platz vor der Kirche, an dem oft auch der örtliche Kornspeicher lag. Dorthin mussten die Bauern ihre Ernte abgeben. Neben der Kirche von La Carolina befindet sich heute das Stadtmuseum, in dem Direktor Pedro Ramos Miguel das geschichtliche Erbe des Ortes bewahrt.

Wie Deutsche nach Andalusien kamen

Im Jahr 1767 kamen die ersten Siedler in die karge spanische Landschaft. Angeworben hat sie der Abenteurer Johann Kaspar Thürriegel, ein Bauernjunge aus dem niederbayerischen Gossersdorf (Landkreis Straubing-Bogen). Er war es, der Karl III. für seinen Plan der „inneren Kolonisation“ Spaniens überzeugte. Auch, um Banditen und Handelshemmnisse im unbesiedelten Land zu beseitigen. Mit einer Vollmacht der spanischen Krone ausgestattet, warb er in Süddeutschland, Ostfrankreich, in der Schweiz und in Flandern über 6000 katholische Siedler an, die 15 Orte gründeten.

Historische Karten der Marschroute zeigen, dass die Auswanderwilligen auch in Nürnberg, Regensburg und Würzburg angeworben wurden. Aus welchen deutschen Orten sie genau stammen, ist unklar. Zwar gebe es historische Unterlagen, so Museumsleiter Ramos Miguel. Er benötige jedoch Hilfe aus Deutschland zur Auswertung der Dokumente und Tauflisten. Bislang gebe es seiner Meinung nach kein großes Interesse daran.

Spanisches Paradies oder doch die Hölle?

Wie lief die Besiedlung damals ab? Brauchtumsgruppen, etwa aus der Siedlung Carboneros, stellen die Landvergabe bei Festen schauspielerisch dar. Zunächst mussten sich die Siedler bei der Verwaltung des Ortes registrieren. Zettel mit ihren Namen kamen in einen tönernen Lostopf, aus denen dann der Reihe nach die besten Grundstücke gelost wurden. Wobei das beste Grundstück für die Siedler jenes war, das am nächsten zur Kirche lag.

Den erhaltenen Aufzeichnungen zu Folge waren die ersten Jahre für die Siedler hart. Sie erhielten zwar eine Grundausstattung, mussten sich aber ihre eigenen Hütten zimmern, das Land urbar machen und einen Teil ihres Getreides als Steuer abgeben. Wer bei einem Fluchtversuch erwischt wurde, kam in den Kerker.

Das von Thürriegel versprochene Paradies wirkte für viele wie Hohn. Diese allzu negative Darstellung möchte Historiker Ramos Miguel nicht unwidersprochen stehen lassen: „Für die damalige Zeit gab es in den Neuen Siedlungen fortschrittliche Einrichtungen, etwa eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle, sowie Schulpflicht für Jungen und Mädchen.“

Unesco-Weltkulturerbe in der Nähe

Heute prägen viele Olivenbäume für die Ölherstellung die Gegend. Ganz leer war das innere Spanien auch vor der Ankunft der neuen Siedler nicht. Einen Tagesmarsch südlich der Siedlungen befindet sich das auf einem Berg gelegen Baños de la Encina. Dessen imposante Festung, Castillo de Burgalimar, wurde im 10. Jahrhundert von den Mauren errichtet und gilt als eine der ältesten, zumindest in Teilen noch erhaltenen, Burgen Europas. Auch die Unesco-Weltkulturerbe-Stätten Baeza und Úbeda mit ihren geschlossenen Altstadtensembles im Stil der Renaissance, befinden sich heute eine Autostunde von den neuen Siedlungen entfernt.

Wie lange das deutsche Erbe in der Sierra Morena noch erhalten bleibt, ist unklar. Zwar pflegen viele ältere Frauen noch den in Spanien ungewöhnlichen Brauch, Ostereier zu bemalen. Doch die Namen der Vorfahren könnten verschwinden. In Spanien tragen Kinder traditionell zwei Nachnamen: den ersten des Vaters und den ersten der Mutter. In der nächsten Generation wird der mütterliche Nachname oft durch den neuen mütterlichen Nachnamen ersetzt, was zur allmählichen Veränderung oder zum Verlust ursprünglicher Familiennamen führen kann. Ein kulinarisches Erbe könnte jedoch bestehen bleiben: eine Blätterteigspezialität mit dem Namen „Alemanes“ - Deutsche.

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