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Kuschelhormone beim Streicheln: Wie Hunde ihre Besitzer fit halten

1.3.2021, 14:06 Uhr
Ob dieses Kind weiß, dass es gerade Oxytocin ausschüttet?

© Foto: colourbox.de Ob dieses Kind weiß, dass es gerade Oxytocin ausschüttet?

Frau Beetz, Hundehalter sind selten erkältet, weil sie so oft draußen sind, heißt es. Doch das wird nicht Gegenstand der Forschung einer Psychologin gewesen sein, oder?

Nein, denn positive Effekte gibt es eine ganze Menge. Ebenso habe ich erforscht, wie sie zustande kommen. Man geht mit Hund mehr raus, wird wetterfest und ist in der Tat selten erkältet, das weiß ich aus eigener Erfahrung.


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Und auf der psychischen Ebene?

Man führt mehr Gespräche mit anderen Haltern oder wird auf den Hund angesprochen. Es geht um Sozialkontakte. Und der Hund entspannt, wenn ich das Gassigehen als Pause wahrnehme.

Wenn mein Zeitfenster im Homeoffice nur klein ist, muss es aber schnell gehen.

Der Hund reduziert Stress nur dann, wenn ich Pausen mit ihm entspannend gestalte. Das bedeutet, den Zwei-Kilo-Wauzi nicht an der Flexi-Leine hinter sich herzuziehen, während ich selbst am Handy hänge. Dann haben Sie diese positiven Effekte nicht.

Was ist zu beachten?

Sich auf den Hund zu konzentrieren, ist eine kleine Achtsamkeitsübung – das ist ja in der Psychologie momentan in. Es ist eine Achtsamkeitsübung im Alltag: eine Viertelstunde um den Block gehen ohne Handy. Das tut der Psyche viel mehr gut als am Bildschirm oder am Telefon zu hängen.

Ein schlafender Hund senkt das Stress-Level

Macht ein Hund schlank?

Ich habe in den USA gelebt und viele Übergewichtige, auch mit Hund, gesehen. Allein einen Hund zu holen, funktioniert nicht. Sie sind nicht schlanker, aber immerhin etwas fitter mit Hund.

Geht es nur ums Rausgehen? Hunde schlafen doch zwölf bis 20 Stunden am Tag.

Die Diplom-Psychologin und Hypnose-Therapeutin Andrea Beetz hat unter anderem in den USA und Großbritannien zur Beziehung zwischen Mensch und Hund geforscht.

Die Diplom-Psychologin und Hypnose-Therapeutin Andrea Beetz hat unter anderem in den USA und Großbritannien zur Beziehung zwischen Mensch und Hund geforscht. © Foto: Anna Wöltjen

Nein. Wenn wir uns nicht bewegen, etwa in der Wohnung, trägt der Hund dazu bei, dass unser Stress-Level sinkt. Das funktioniert unbewusst. Er döst und schläft vor sich hin und sendet so ein Signal an uns, dass die Umgebung sicher ist und wir auch entspannen können.

Warum klappt die Partnerschaft zwischen Mensch und Hund so gut?

Menschen haben an sich immer in der Natur gelebt und daher ist in unserem evolutionären Erbe ein Interesse an Tier und Natur angelegt. Die Wissenschaft spricht von Biophilie: Sie sorgt unter anderem dafür, dass wir es entspannend finden, wenn ein ungefährliches Tier in unserer Nähe ist, das entspannt ist. Bei einem entspannten Tiger geschieht keine Stressreduktion.

Mich beruhigt, wenn ich meinem Hund durch sein dickes Fell fahre. Ist das auch wissenschaftlich belegt?

Wir Menschen streicheln gerne, wir haben gerne Haut-Haut-Kontakt. Das Streicheln und Kraulen haben wir eigentlich nur mit unseren Partnern oder innerhalb der Familie. Und selbst größere Kinder wollen das nicht mehr. Mit dem Hund aber ist es völlig einfach, Kontakt aufzubauen. Jeder Hundehalter kennt die Frage von Passanten: "Oh, darf ich den mal streicheln?"

Fell streicheln erzeugt Oxytocine

Was geschieht dabei mit uns?

Wir wissen aus verschiedensten Studien, dass beim Streicheln das "Bindungshormon" Oxytocin ausgeschüttet wird. Es ist sogar bei ehemaligen Hundehaltern festgestellt worden, die nach zehn Jahren erstmals wieder Kontakt hatten. Je länger sie das Fell streicheln, desto mehr wird produziert.

Was bewirkt dieses Kuschelhormon?

Es ist ein Gegenspieler von Stress mit den Folgen, dass der Cortisol-Spiegel, der Blutdruck und die Herzfrequenz sinken. Oxytocin hat ein ganzes Wirkspektrum: Es bewirkt, dass Angst, Stress, Schmerzempfinden und das Aggressionspotenzial geringer werden. Letzteres ist auch an Schulklassen nachgewiesen, in denen Hunde eingesetzt werden. Es fördert Kommunikation, soziale Interaktion und Vertrauen. Ganz konkret gehen Heimtierhalter, die länger ein Tier haben, seltener zum Arzt, nehmen weniger Medikamente ein, haben bessere Herz-Kreislauf-Werte. Es ist nicht so, dass sich gesündere Leute ein Tier nach Hause holen, sondern es handelt sich wirklich um Effekte der Tierhaltung.

Kann sich jemand, der auf Hundehaare allergisch ist, Oxytocin auch woanders holen?

Es wird leicht erzeugt durch positiven Körperkontakt. Doch zwischen Menschen gibt es viele Konventionen: Wir empfänden es als übergriffig, von jedem bekuschelt zu werden. In Deutschland wird man ja sogar schief angeschaut, wenn wir jeden grüßen, obwohl uns soziale Interaktionen gut täten. Bei Hunden aber lassen wir Schmusen oder wildes Spielen zu. Und wenn man eine gute Beziehung hat, reicht auch nur der Augenkontakt zur Oxytocin-Ausschüttung.

Gibt es noch andere Tierarten, die dem Menschen in ähnlicher Weise gut tun?

Vieles von dem Erwähnten funktioniert auch mit einem Pferd, viele Effekte auch mit Katzen. Nachtaktive Tiere wie Hamster eignen sich nicht so sehr, das ist mittlerweile allgemein bekannt.

Kindchenschema beim Welpen

Kleine Hunde empfinden viele als goldig. Was genau löst diese Verzückung aus?

Wir nutzen für die Beziehung zum Hund die gleichen Verhaltenssysteme wie wenn wir Kinder haben: das Fürsorgeverhaltenssystem. Beim Welpen gibt es ein Kindchenschema, das uns dazu bringt, ihm Fürsorge zu geben. Ihr Geruch und das Streicheln lässt uns Glückshormone ausschütten.

Die Gefahr ist, dass wir Welpen süß finden, den ausgewachsenen Hund dann aber nicht mehr . . .

Wenn der Hund erwachsen ist, suchen viele im Optimalfall trotzdem den Kontakt, der Hund bleibt für uns nicht immer in der Kindrolle. Er dient dann eher als soziale Unterstützung. Aber das ist individuell: Es gibt Menschen, die mit ihrer Bordeaux-Dogge reden wie mit einem kleinen Hund. Oder ihn wie einen Kumpel sehen: eher freundschaftlich, mit ihm Sport und Spaß machen.


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Es kommt also auch auf die Rasse an, wie sich das Verhältnis entwickelt?

Es gibt verschiedene Tendenzen von Rassen, aber innerhalb jeder Rasse auch ganz verschiedene Individuen. Der Hund kann auch in die Fürsorgerrolle schlüpfen und ich in die Rolle des Bindungssuchenden. Wenn ich ausstrahle, dass ich emotional unterstützt werden möchte, können Hunde sich auch aktiv rankuscheln. Sie können merken, wenn es mir nicht gut geht.

Wie bei Therapiehunden . . .

40 bis 50 Prozent der Deutschen haben eine sogenannte unsichere Bindung, das heißt, sie können kaum von sozialer Unterstützung anderer Menschen profitieren, gerade wenn sie unter Stress sind. Von einem Hund würden sie profitieren, er kann mit Körperkontakt über die Oxytocin-Ausschüttung trösten.

Höhere Überlebensrate nach Herzinfarkt

Weiß man, ob Hunde auch schwer erkrankten Menschen helfen können?

Es gibt eine alte Studie der amerikanischen Forscherin Erika Friedmann zu Herzinfarkten, die zu dem Schluss kommt: Tierbesitzer haben nach einem Herzinfarkt eine höhere Überlebensrate.

Ein Hund bestimmt den Tagesablauf, weil er regelmäßig raus muss. Das kann manchmal auch nerven . . .

Für Rentner aber ganz und gar nicht, die Strukturierung des Tagesablaufs ist für sie sehr gut. Sie haben einen Grund, aus dem Bett zu kommen und sich zurechtzumachen. Es ist schön, Routinen zu entwickeln. Auch Kinder übernehmen Verantwortung, wenngleich sie nie ohne die Unterstützung der Eltern ein Tier versorgen sollten. Das ist nicht erforscht, aber das sagt mir die Erfahrung als Psychologin.

Hundehalter sollten sehr diszipliniert sein, oder?
Naja, sie müssen den inneren Schweinehund bei Schlechtwetter erst gar nicht überwinden, denn sie wissen, er pieselt ihnen den Teppich voll, wenn sie nicht rausgehen. Manche Hunde passen sich aber auch an und lassen sie im Urlaub bis früh um zehn schlafen.

Sie haben an Universitäten in den USA zu dem Thema geforscht. Gibt es in der Hundehaltung kulturelle Unterschiede?
Amerikaner gehen deutlich weniger Gassi, der Deutsche plant feste Zeiten ein.

Seit Beginn der Pandemie steigt die Anzahl der Hundehalter. Was macht das mit unserer Gesellschaft?

Was passieren wird, weiß ich nicht. Züchter haben fünfmal mehr Anfragen als vorher. Das Schlimme ist der Welpenhandel mit dem Osten übers Internet. Es werden viele kranke Hunde produziert und über dubiose Wege vermittelt. Es wird schwierig, wenn jetzt jeder denkt: Ich hole mir einen Hund. Viele hatten wohl vorher den Wunsch und können das jetzt durchs Homeoffice endlich verwirklichen. Es kommt mir auch logisch vor. Ich frage mich nur, was nach Corona passieren wird: Sind dann die Tierheime voll?

Warum ist die Hundeforschung so weit?
Ganz banal: Den bekommen sie leichter ins Labor. Ein Pferd muss im Stall stehen, Katzen sind widerspenstig, funktionieren nicht nach dem Plan der Forscher, das sind zu viele Störvariablen in der Forschung. Ich bin aber hundertprozentig überzeugt, dass Katzenstreicheln auch Oxytocin erzeugt – aber die Katze ist selbstbestimmter bei der Kontaktaufnahme.

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