3. Juni 1965: Der Mittagsmörder ist endlich gefaßt

3.6.2015, 07:00 Uhr
3. Juni 1965: Der Mittagsmörder ist endlich gefaßt

© Ulrich

Die Nürnberger Kriminalpolizei glaubt, mit dem Verbrecher, der am Dienstag bei einer wilden Schießerei in einem Bekleidungshaus der Innenstadt und bei der dramatischen Verfolgungsjagd einen Menschen tödlich niederstreckte und zwei andere schwer verletzte, den lange gesuchten, berüchtigten "Mittagsmörder" hinter Schloß und und Riegel gebracht zu haben.

Nach 50 Jahren in Haft: "Mittagsmörder" kommt frei

Die Bezeichnung „Mittagsmörder“ hatte der Täter erhalten, weil alle früheren Überfälle Punkt 12 Uhr begangen wurden: Am 10. September 1962 tötete er in der Ochenbrucker Sparkasse den 50jährigen Zweigstellenleiter Erich H., am 30. November in der Sparkasse Neuhaus den 51 Jahre alten Lagerverwalter Oskar S. aus Krottenbach. Am 29. März 1963 starben durch seine Kugeln die 58jährige Geschäftsinhaberin Karola H. und ihr 30jähriger Sohn Helmut in ihrem Geschäft an der Allersberger Straße nahe dem Nürnberger Hauptbahnhof.

Zusammen mit dem am Dienstag erschossenen 34 Jahre alten Hausmeister Hermann T., hat der Verbrecher – sind die Beweise der Kriminalisten stichhaltig – fünf Menschen auf dem Gewissen. Er gilt als der kapitalste Verbrecher in der Nürnberger Kriminalgeschichte. Auf seinen Kopf waren 17.000 Mark Belohnung ausgesetzt worden. Kriminaldirektor Dr. Horst Herold zeigte sich gestern als Optimist. Wegen der „objektiv vorhandenen Beweise“ könne mit Sicherheit ein Zusammenhang mit den Fällen in Ochenbruck, Neuhaus und Nürnberg nachgewiesen werden.

Er bat um Verständnis, daß die Polizei vorerst nichts Näheres über ihre Trümpfe sagen will. Es sickerte jedoch durch, daß durch die Gegenüberstellung mit Augenzeugen der früheren Überfälle, durch die Funde bei der Durchsuchung der Wohnung des Täters in Hersbruck und durch den naheliegenden Vergleich der Waffen, Kugeln und Geschoßhülsen die Beweisführung gelingen wird.

Polizei lüftet Geheimnis um "Studententyp"

Hatte die Polizei noch bis in die ersten Morgenstunden des Mittwochs über die Person des Täters geschwiegen, so lüftete sie am späten Vormittag das Geheimnis um ihren "Studententyp".

Nach der Darstellung der Kriminalpolizei war der Mordschütze, der mit einem vor 14 Tagen in Fürth gestohlenen Personenwagen in der Bundesrepublik umhergefahren war, am Dienstagvormittag durch Nürnberg gebummelt. „Nachmittags kam ihm der Gedanke, auf irgendwelche Art Geld zu besorgen. „Ich wollte, wie man so sagt, abstauben“, erklärte er den Polizeibeamten bei der Vernehmung.

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Da faßte er den Entschluß, der ihm zum Verhängnis werden sollte: er betrat das Bekleidungshaus C. & A. Brenninkmeyer am Weißen Turm, bewaffnet mit drei Pistolen, die allerdings nicht von der Bundeswehr stammten. „Er war ein Waffenfan“, kommentierte Kriminaldirektor Dr. Herold die Leidenschaft des Mannes, der bisher nur sein letztes Verbrechen zugegeben hat. Er schränkte allerdings ein, daß er sich keineswegs mit Mordabsichten getragen habe. „Ich habe aus den Augenblick heraus gehandelt, um entfliehen zu können, nicht um zu töten“, gab er zu Protokoll. Dieses Motiv scheint glaubhaft.

Er hat fünf Menschenleben auf dem Gewissen

Ist dieser Mann ein Einzelgänger? Hat er noch mehr auf dem Kerbholz? Das waren die Fragen, die 24 dramatische Stunden lang die Kriminalbeamten bewegten.

Während G. beim pausenlosen Verhör stur schwieg und sich erst nach und nach zu Geständnissen über seine Tat vom Dienstag bequemte, webte die Polizei ein Netz, in dem sich dieser Verbrecher hoffnungslos verfangen sollte.

Obschon er selbst nicht bereit war, auch nur ein Wort über mögliche frühere Taten zu sagen, glaubte die Kriminalpolizei gestern am späten Nachmittag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu wissen:Er ist jener Mann, der drei Jahre lang ganz Franken in Schrecken versetzt hat. Die Trümpfe der Polizei müssen schwer wiegen, obwohl sie zur Stunde noch nicht gerne über Einzelheiten spricht. Kriminaldirektor Dr. Horst Herold, der als früherer Landgerichtsrat und Staatsanwalt über eine große Praxis verfügt, erklärt: „Der Täter wird es nicht leicht haben, gegen die Beweise für seine Überfälle in Ochenbruck und Neuhaus und den Doppelmord im Nürnberger Waffengeschäft Hannwacker eine Ausrede zu finden!“ Solchen Äußerungen muß um so mehr Glauben geschenkt werden, nachdem die Kriminalpolizei erst Einzelheiten über den Verbrecher bekanntgab, als sie ihrer Sache ganz sicher zu sein schien.

Man sei sich zu 99,99 Prozent sicher

Während G. die ganze Nacht über verhört wurde, liefen fieberhaft die polizeilichen Ermittlungen. Sie förderten immer mehr Hinweise zutage, daß man mit dem Mordschützen von der Breiten Gasse einen „ganz großen Fisch“ gefangen hatte. Am frühen Morgen schon wurde von Eingeweihten im Polizeipräsidium gemunkelt, daß es sich bei G. um den Mittagsmörder handele. Diese Gewißheit wuchs im Lauf des Tages. Gegen Mittag hieß es bereits, es stehe zu 80 Prozent fest, wenig später sogar, es sei zu 99,9 Prozent sicher.

3. Juni 1965: Der Mittagsmörder ist endlich gefaßt

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Am Nachmittag berief dann das Polizeipräsidium, nunmehr seiner Sache sicher, eine Pressekonferenz ein, auf der es zum erstenmal seine Karten, wenn auch noch nicht alle, auf den Tisch legte. Man erfuhr, daß G. 1941 in Frankfurt an der Oder geboren wurde und in guten Verhältnissen aufwuchs. Sein Vater fiel im Krieg als Hauptmann, der Rest der Familie flüchtete nach Westdeutschland und ließ sich in Hersbruck nieder.

Erneute Bitte um Mithilfe

Die Mannschaft der Ermittlungsbeamten hat den langgesuchten Mörder richtiggehend eingekreist. Augenzeugen erkannten bei der Gegenüberstellung den Mann, der die Überfälle in Ochenbruck und Neuhaus begangen hatte. G. bekam jene Leute nicht zu sehen, die ihn schwer belasteten, denn für diese Gegenüberstellung benutzte die Polizei „Fernauge“ und Fernsehschirm, so daß sich der Täter und die Zeugen in verschiedenen Räumen aufhalten konnte. Andere Anhaltspunkte hatten die Beamten gefunden, als sie Gs. Wohnung in Hersbruck durchkämmten. Was ihnen zu Augen gekommen ist, sagen sie jetzt noch nicht, denn das soll auch eine „Überraschung“ für den Mittagsmörder sein.

Es wird sich vermutlich erst bei einer Gerichtsverhandlung endgültig herausstellen, welche Indizien gegen den jungen Mann sprechen. Die Polizei ist überzeugt: G. hat fünf Menschen auf dem Gewissen. Die Kriminalpolizei bittet trotzdem erneut um die Mithilfe der Bürger.

Sie möchte Nachrichten darüber erhalten, ob er irgendwo schon einmal in verdächtigen Situationen gesehen worden ist; es kann auch nicht schaden, wenn sich noch Leute melden, die ihn möglicherweise bei den Überfällen gesehen haben, die ihm zur Last gelegt werden.

Wie die Tat eines Anfängers

Offen bleibt immer noch die Frage, weshalb der Mittagsmörder bei seinem letzten Raub anders vorgegangen ist als vorher. Der Überfall in dem Bekleidungshaus sieht wie die Tat eines Anfängers aus. Wer geht schon in ein vielbesuchtes Ladengeschäft, um dort im zweiten Stock zu stehlen? Alles spricht eigentlich dagegen, daß ein kaltblütiger Mörder so handeln konnte. Niemand ahnte, daß sich hinter dem jungen Mann ein vierfacher Mörder verborgen hielt.

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