Experten geben Tipps für Energiesparen und -wende

Autofreie Sonntage, Tempolimit, Heizung runter: Wie Deutschland Putin den Geldhahn zudrehen will

Martin Müller

Redaktion Metropolregion Nürnberg und Bayern

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9.3.2022, 17:52 Uhr
An den vier autofreien Sonntagen Ende 1973 herrschte gähnende Leere auf Deutschlands Straßen, hier die Ludwigstraße in München. Lange konnte man sich solche Maßnahmen hierzulande nicht mehr vorstellen, jetzt werden sie sehr ernsthaft diskutiert.

© imago images/Heinz Gebhardt An den vier autofreien Sonntagen Ende 1973 herrschte gähnende Leere auf Deutschlands Straßen, hier die Ludwigstraße in München. Lange konnte man sich solche Maßnahmen hierzulande nicht mehr vorstellen, jetzt werden sie sehr ernsthaft diskutiert.

Etwa eine Milliarde Euro zahlt die EU jeden Tag für fossile Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle an Russland. Etwa eine Milliarde Euro kostet Russland der Krieg in der Ukraine pro Tag, rechnet Professor Bruno Burger, Energieexperte am Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, vor. "Man könnte also sagen, dass wir damit quasi direkt den Krieg finanzieren", meint er in einer Fach-Diskussion des Science Media Centers.

So viel bringt der "Pulli gegen Putin"

Manche fordern deshalb schon, Öl, Gas und Kohle überhaupt nicht mehr aus Russland zu beziehen. Doch ein sofortiger Komplett-Ausstieg hätte gravierende wirtschaftliche Folgen für die deutsche Industrie und Bevölkerung, die Versorgungssicherheit wäre stark gefährdet. Einig sind sich aber alle: Die Abhängigkeit sollte so schnell wie möglich verringert werden.

Kurzfristig kann man das besonders gut durch Energiesparen. Und dazu kann jeder selbst einen Beitrag leisten. "Freeze for Peace" oder "Pulli gegen Putin" heißt es deshalb mittlerweile schon auf manchen Demos. "Wenn man die Temperatur in der Wohnung um ein Grad absenkt, bringt das eine Energieeinsparung von rund sechs Prozent", verdeutlicht Martin Pehnt, wissenschaftlicher Geschäftsführer und Fachbereichsleiter Energie am Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu). Auch durch kürzeres und kühleres Duschen und den Einsatz von Duschsparköpfen könne man einiges erreichen.

Strom kann man zum Beispiel durch den Austausch der Leuchten sparen. "Man sollte das dann aber auch wirklich zum Sparen nutzen. Viele sparen Strom durch neue Leuchten, schaffen sich dafür aber weitere Geräte und zusätzliche Leuchten an und brauchen im Endeffekt genauso viel Strom wie zuvor", erläutert der Freiburger Energieexperte Bruno Burger.

Autofreie Sonntag und ein Tempolimit sollen Ölbedarf senken

Besonders groß ist die Abhängigkeit vom Erdöl. Gleichzeitig verdient Russland am Erdöl wesentlich mehr als am Gas. Um Russland auch kurzfristig den Geldhahn zuzudrehen, ist hier Sparen deshalb besonders effektiv, meinen viele Experten.

Viele befürworten sogar schon autofreie Sonntage, wie es sie in Deutschland bereits während der Ölkrise im Jahr 1973 an vier Sonntagen gab. "Autofreie Sonntage würde ich gerade auch psychologisch für sehr wichtig halten. Ich halte eine solche Maßnahme definitiv für angemessen und machbar. Durch Corona hatten wir viel größere Einschnitte", sagt Professor Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher an der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) in Regensburg.

Etwa ein Zehntel des Treibstoffs könnte dadurch eingespart werden. "Viel größer wäre natürlich der Effekt eines Tempolimits. Das kostet außer ein paar Schildern fast nichts, bringt aber immens viel", meint Sterner. Im Jahr 1973 war schon einmal für sechs Monate ein generelles Tempolimit verhängt worden. Damals lag dieses bei 80 km/h auf Landstraßen und bei Tempo 100 auf Autobahnen.

Mindestbelegung für Gasspeicher

Nicht nur durch Verzicht, sondern auch durch kurzfristige Investitionen kann ein großer Effekt erzielt werden, gerade im Wärmebereich. "Man muss nicht unbedingt gleich das ganze Haus dämmen. Durch ein Dämmen der Heizungsrohre, des Hausdachs oder der Kellerdecke kann man schon viel erreichen", erklärt Energie-Experte Martin Pehnt.

Um die Gasversorgung für die nächsten Jahre zu sichern, empfiehlt Michael Sterner von der OTH Regensburg staatliche Vorgaben für die 51 großen Gasspeicher in Deutschland. "Es sollte eine Mindestbelegung von 80 bis 90 Prozent im Herbst vorgeschrieben sein", fordert er. Vor allem der russische Erdgas-Riese Gazprom hatte seine Speicher zuletzt leerlaufen lassen, obwohl er mit dem Gas viel Geld hätte verdienen können.

Zuletzt waren die Speicher in Deutschland nur noch zu 27 Prozent gefüllt, sonst sind es zu dieser Jahreszeit 50 bis 80 Prozent. Die derzeitige Speichermenge entspricht in etwa einem durchschnittlichen Monatsverbrauch, im Winter reicht sie also dementsprechend kürzer.

Zuletzt noch 600.000 Gasheizungen installiert

"Ich kann jedem Handwerker nur raten, in diesem Sommer so viele Öl- und Gasheizungen wie möglich rauszureißen", meint Sterner. Doch hier werden sich falsche Weichenstellungen der vergangenen Jahre noch lange auswirken, als gerade die Gasheizungen noch als Teil der Lösung propagiert wurden.

2021 wurden in Deutschland noch mehr als 600.000 Gasheizungen und 50.000 Ölheizungen installiert. "Dadurch ist man jetzt natürlich in den kommenden 20 Jahren von den Fossilen abhängig", sagt Pehnt, der neben dem Einbau von Wärmepumpen auch für den verstärkten Einsatz von Geothermie in den dafür geeigneten Regionen Deutschlands (Süddeutsches Molassebecken, Oberrheingraben, Norddeutsche Tiefebene) plädiert.

Zusätzlich gibt es in Deutschland noch viele besonders schwere Fälle zu lösen. So gibt es noch immer etwa eine Million Gebäude mit Gasetagenheizungen, die erst einmal zentralisiert werden müssten. Zusätzlich gibt es etwa ebenso viele Häuser, in denen Gas-, Kohle- oder Öl-Einzelöfen stehen.

Das ist mit Flüssiggas möglich

Um die Abhängigkeit von Russland zu verringern, will Deutschland nun den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen und mittel- bis langfristig auf Wasserstoff statt Erdgas setzen. Zusätzlich soll mehr Flüssiggas (LNG) importiert werden, um russisches Pipeline-Gas zu ersetzen.

Dafür sollen zwei LNG-Terminals gebaut werden. Im Jahr 2019 importierte die EU 4277 Terrawattstunden (TWh) an Erdgas, 945 davon waren LNG. 1768 TWh kamen aus Russland, 156 TWh davon als LNG. Die derzeit vorhandenen Terminals hätten eine Kapazität von 1715 TWh. Laut der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina fehlen momentan aber noch die Transportkapazitäten, um das volle Potenzial auszunutzen.

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