Premiere

Einer leidet immer: Mamets "Oleanna" im Fürther Kulturforum

Wolfgang Reitzammer

1.12.2022, 12:15 Uhr
Stark: Lisa Fedkenheuer als gedemütigte Studentin Carol im Fürther Kulturforum.

© Hans-Joachim Winckler, NN Stark: Lisa Fedkenheuer als gedemütigte Studentin Carol im Fürther Kulturforum.

Vor 30 Jahren hielten viele Menschen MeToo für eine asiatische Hardrock-Band, Gender-Sternchen für Himmelskörper; die Universitäten waren noch nicht von Studierenden und Lehrenden bevölkert, sondern vom Herrn Professor und seinem Gefolge.

Doch schon 1992 verfasste David Alan Mamet unter dem Eindruck des öffentlichkeitswirksamen Falls "Hill vs. Thomas" sein Theaterstück "Oleanna", das seitdem, in der Übersetzung von Bernd Samland, Einzug in die Repertoires deutschsprachiger Theater gehalten hat – nun auch als Eigenproduktion des Stadttheaters im Kulturforum.

"Oleanna" ist ein Kammer-Macht-Spiel in drei Akten für zwei Personen und ein Telefon, Schauplatz das Büro des Hochschul-Professors John. Der vertritt, fast wie Mephisto in der Schülerszene von "Faust", zynische Thesen zum Mythos höherer Bildung. Dabei erkennt er nicht, dass für seine Studentin Carol ebendiese Bildung lebenswichtig ist: "Ich muss den Schein machen!"

Problematischer Dialog

Leider versteht sie aber seine Theorien nicht. Daraufhin entwickelt der Professor auf einmal Sympathie für die verstörte Carol, fasst ihr an die Schulter. Der problematische Dialog der beiden wird ständig durch Telefonanrufe unterbrochen: Johns Frau Grace und sein Steuerberater berichten von einem Hauskauf und fordern seine Anwesenheit beim Vertragsabschluss. Das ist also Johns wahres Motiv: Er will die Verbeamtung und seiner Familie einen komfortablen Wohnort schaffen.

Doch Carol dreht den Spieß um. In einem Beschwerdebericht an die Uni-Leitung bezichtigt sie John sexistischer Verhaltensweisen und des Machtmissbrauchs. Die Sitzordnung im Büro (Bühne: Andreas Braun) ändert sich, die Dialoge werden schärfer. John soll ein Schuldeingeständnis unterschreiben, um sich in seiner Stellung zu halten.

Das Besondere an Mamets Wort-Gemetzel ist, dass er es dem Zuschauer überlässt, auf wessen Seite er sich schlagen will. Intendant Werner Müller verlässt sich als Regisseur auf die Dialogschärfe der Textvorlage, er hat mit Lisa Fedkenheuer und Andreas von Studnitz zwei profilierte Akteure.

Studnitz ist in dezente Brauntöne gekleidet (Kostüme: Kaja Fröhlich-Buntsel), er erinnert an den "Irrational Man" in Woody Allens Film (2015). Seine körperliche Größe mutiert immer mehr zur Gebeugtheit, erstaunlich ist die sprachliche Bandbreite zwischen Intellektualität und Vulgarität.

Clevere Lobbyistin

Ganz anders Fedkenhäusers Carol. Zunächst ganz der Typus Erstsemester mit Schlabber-Strickjacke und City-Rucksack, wird sie zur kampfbereiten Frau und zur cleveren Lobbyistin ihrer Sache. Das Spiel endet nach 90 spannenden Minuten mit einem 2:1. Für wen, sei hier nicht verraten; klar ist aber, dass beide Kontrahenten sich in eine Lose-Lose-Situation hineinmanövriert haben.

"Einer muss immer leiden, und bisweilen leiden wir alle. Ist es nicht so?" Oder: Wenn menschliche Kommunikation von Machtritualen bestimmt ist, gibt es nur Verlierer.

Langanhaltender Beifall des Premierenpublikums für einen thematisch hochaktuellen Theaterabend.

"Oleanna": Weitere Termine am 24., 25., 26. November sowie am 1. und 3. Dezember (20 Uhr), Kulturforum (Würzburger Straße 2). Karten in der FN-Geschäftsstelle (Schwabacher Straße 106, Tel. 2 16 27 77), an der Stadttheater-Kasse (Tel. 9 74 24 00) und an der Abendkasse.

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