Fürther Verwirrspiel: Wie hoch ist die Einwohnerzahl?

12.1.2016, 06:00 Uhr
Fürther Verwirrspiel: Wie hoch ist die Einwohnerzahl?

© Archivfoto: Hans-Joachim Winckler

Selbst der Oberbürgermeister gerät bisweilen auf unsicheres Terrain, wenn es um den Einwohnerstand seiner Heimatstadt geht. Dieser Tage, als er die geplanten Projekte für 2016 vorstellte, sprach er von über 125.000 Menschen, auf die Fürths Bevölkerung im Lauf dieses Jahres anwachsen werde. Und in einem Gespräch mit unserer Redaktion kurz vor Weihnachten war Thomas Jung von derzeit etwa 123.000 Fürtherinnen und Fürthern ausgegangen.

Dabei zeigt ein Blick ins Internetangebot seiner eigenen Stadtverwaltung: Bereits für den September 2015, letzter verfügbarer Stand, werden hier 125 358 Menschen genannt, die ihren Hauptwohnsitz in Fürth haben. Quelle ist das Amt für Stadtforschung und Statistik der Städte Nürnberg und Fürth, dieses wiederum stützt sich auf die Registerdaten der kommunalen Einwohnermeldeämter.

So weit, so logisch und eigentlich keiner weiteren Diskussion wert – gäbe es da nicht anderslautende Erhebungen des bayerischen Landesamts für Statistik. Diese basieren auf einer Volkszählung, bei der in Bayerns Haushalten repräsentativ Daten erhoben und dann statistisch hochgerechnet wurden. 2011 ging dieser sogenannte Zensus des Freistaats über die Bühne und ergab für die Stadt Fürth: Laut Landesamt gibt es hier rund 2000 Menschen weniger, als es das örtliche Melderegister ausweist. Auch die letzten vergleichbaren Werte klaffen folglich auseinander: Im März 2015 lebten nach städtischer Lesart 123.937 Männer, Frauen und Kinder in Fürth, nach den Zahlen des Landesamts aber nur 121.944.

Ähnliche und teilweise noch krassere Differenzen beklagen viele Kommunen landauf, landab. Etliche von ihnen drängten deshalb gemeinsam auf eine gerichtliche Klärung, die derzeit in zweiter Instanz verhandelt wird; im ersten Anlauf hatte der Freistaat Recht bekommen. Es geht dabei weniger ums Prinzip denn schlichtweg ums Geld: Bei geringerer Einwohnerzahl haben die Kommunen weniger Mittel aus staatlichen Töpfen im Rahmen des Finanzausgleichs zu erwarten.

Verwaltung rätselt

In Fürth indes ist man felsenfest davon überzeugt, dass die eigenen Zahlen stimmen. „Unser Melderegister ist in Ordnung“, sagt Bürgeramtsleiter Rainer Baier auf FN-Nachfrage. Doch wie sind derart eklatante Unterschiede möglich? „Das lässt sich nicht erklären“, antwortet Baier, und auch sein Vorgesetzter, Fürths Rechts- und Ordnungsreferent Christoph Maier, rätselt. Schwankungen, räumt er ein, sind zwar immer möglich – aber in dieser Größenordnung? Nein. Es müsse an „Unschärfen“ des bayerischen Zensus liegen.

Wie dem auch sei: Einig sind sich alle Statistiker darüber, dass die Bevölkerung so rasant wächst, wie es noch vor einigen Jahren kein Experte prophezeite. Ob nun derzeit 123.000 oder 125.000 Menschen in Fürth daheim sind – in diese Dimensionen, wurde prognostiziert, werde man allenfalls nach 2030 vorstoßen. Mitte 2015 dann ließ eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aufhorchen: Fürth werde bis zum Jahr 2030 knapp 130.000 Einwohner haben, hieß es darin.

Was man im Rathaus einigermaßen entsetzt sogleich als „ausgeschlossen“ abtat – auf Basis neuer Daten scheint es längst nicht mehr unrealistisch. Eher im Gegenteil: Denn pro Jahr legte die Fürther Bevölkerung in der jüngsten Vergangenheit um die 2000 Köpfe zu – maßgeblich dafür verantwortlich sind Zuwanderer aus Osteuropa. So sind im Plus von annähernd 1900 zwischen September 2014 und September 2015 neben 400 Deutschen unter anderem 400 Rumänen, 250 Bulgaren, 100 Polen und 50 Ungarn enthalten.

Zuletzt flossen in die Einwohnerstatistik zudem die ersten Flüchtlinge ein. Sie, erläutert Rechtsreferent Maier, gelten als hier ansässig, sobald sie Fürth nicht nur kurze Zeit zugeteilt sind, sondern für die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens. Dies dürfte zum Teil erklären, warum der Einwohnerstand allein im halben Jahr zwischen März und September 2015 um rund 1400 gestiegen ist – Monat für Monat um zwei- bis dreihundert.

Sehr viele dieser Menschen, darauf hat der OB kurz vor Weihnachten mit großem Nachdruck hingewiesen, brauchen auf kurz oder lang Wohnraum in Fürth – den man in diesem Ausmaß nach Thomas Jungs Ansicht freilich nicht schaffen kann. Vielleicht bemüht der Rathauschef auch deshalb inzwischen im Zweifelsfall lieber die niedrigere verfügbare Einwohnerzahl . . .

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