Gastspiel
Turboschneller Spielspaß: So entlarvt "Perplex" im Fürther Stadttheater alle Illusionen
12.2.2023, 18:00 UhrEs geht ums Ganze. Das tut es natürlich immer, wir vergessen das nur gerne. In Marius von Mayenburgs Komödie „Perplex“ werden im Stadttheater Fürth die großen Fragen gestreift: Wer sind wir? Was wollen wir? Und was soll der Quatsch überhaupt?
Die Inszenierung von Stefan Butzmühlen arbeitet überlegt mit der Vorlage, bringt chaotisch scheinende Szenenfolgen auf Kurs und schreckt nicht vor finaler Ehrlichkeit zurück.
Zu glauben, dass unser Ich stets eine und dieselbe Rolle spielt, ist eine nette Idee. Wir sind viele, und das ist meist auch ganz in Ordnung so. Die vier, die Autor Mayenburg auf die Bühne gestellt hat, erleben derlei Identitätswechsel im Schleudergang. Nichts ist festgeschrieben. Im Turbobetrieb werden Wohnungsbesitzer zu Gästen im vermeintlich eigenen Haus, Partner mutieren zum persönlichen Nachwuchs, Aupairs zu Müttern, Elche zu Liebhabern. Okay, das ist übertrieben. Der Geweihträger steckt im Kostüm. Aber trotzdem.
Symbolträchtige Requisiten
Es ist ein wildlustiger Spaß, den Sunna Hettinger, Hannah Candolini, Mark Harvey Mühlemann und Frederick Redavid mit spürbarer Lust am Schau-Spiel durchziehen. Stefan Butzmühlen wiederum erlaubt sich das Vergnügen, symbolträchtige Requisiten und Einlagen zu bemühen, deren Eindeutigkeit so einladend ist wie Scheunentore.
Sprechen wir also nicht über Säulenkakteen oder Stangengurken (obwohl dem Gemüse hier fast so viel Zauber innewohnt wie einst der gemeinsam von je einem Ende verzehrten Spagetti-Nudel in Walt Disneys Zeichentrick-Klassiker „Susi und Strolch“). Denken wir auch nicht über den bürgerlichen Wohlstandsdreck nach, der ins – richtig, nicht unter – das Sofa gekippt und später von der Putzhilfe in einer Art von Gebärvorgang wieder zu Tage gebracht wird.
Spannend ist die Bühne, die Peter Wendl konzipiert hat. Ein doppelbödiger Aufbau, dessen zentrales Element ein weißer Kubus ist, der Raum für alles bietet. Als Deko-Element dient ein gut bestückter und farblich sortierter Kleiderständer, der in den Fokus rückt, was hier getrieben wird (Kostüme: Susanne Suhr).
Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem das Rollenspiel auf eine Art von Möbiusband – eine Fläche, die nur eine Kante und eine Seite hat – einbiegt. Oder auf diese liegende Acht, deren ewiger Umlauf geradewegs in die Unendlichkeit führt. Spätestens jetzt hat das Theater als Spiel-Platz seinen großen Moment.
Flug zum Mond
Zwar hatten die Darstellerinnen und Darsteller zuvor schon ein paar Mal die imaginäre Wand zum Publikum durchbrochen. Doch jetzt werden Kulissen und Kostüme radikal entfernt. Ein paar faule Sprüche noch. Und das war’s. Das Theater ist entlarvt, all seiner Illusionen beraubt.
Ein Zustand, den Regisseur Butzmühlen nicht lange ertragen lässt. Aus dem Nichts meldet sich der unselige Luft- und Raumfahrtingenieur Wernher von Braun zu Wort. Einer, der über persönliche Rollenwechsel hätte sprechen können, der irgendwann aber auch behauptet hat, dass alles, was sich die Menschen vorstellen können, auch machbar ist. Auf der Bühne zischt jetzt die Mondflugrakete Saturn V ins All.
Ist das tröstlich? Leider überhaupt nicht. Denn plötzlich breitet sich unvermutet dieses verstörende Ameisen-Gefühl aus, das durch einen Blick in den klaren Nachthimmel ausgelöst werden kann, weil hinter dem letzten erkennbaren Himmelskörper für Menschen so verdammt viel Nichts liegt...
Stefan Butzmühlen hat für seine Inszenierung des jungen Stoffs, der 2010 an der Berliner Schaubühne uraufgeführt wurde, einen frischen, stringenten Weg gefunden. „Perplex“ ist sehenswert.
„Perplex“: Stadttheater, weitere Termine: 14.-18. Februar (je 19.30 Uhr). Eintrittskarten unter der Rufnummer 974 24 40 und an der Theaterkasse.
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