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Forscher des Nürnberger Tiergartens: Menschenaffen erinnern sich wie Menschen an alte Bekannte

17.2.2024, 15:00 Uhr
Eine Tierpflegerin hält einen Schimpansen auf dem Arm. Menschenaffen erkennen vertraute Gesichter auch nach langer Trennung wieder.

© iStock.com/RollingEarth Eine Tierpflegerin hält einen Schimpansen auf dem Arm. Menschenaffen erkennen vertraute Gesichter auch nach langer Trennung wieder.

Mensch, den kenn' ich doch! Gesichter früherer Bekannter erkennen wir oft selbst nach Jahrzehnten wieder. Auch Menschenaffen wie Schimpansen und Bonobos sind dazu in der Lage, berichtet ein Forschungsteam nun. Sie erkennen auf Fotos selbst Gruppenmitglieder, die sie seit mehr als 25 Jahren nicht mehr gesehen haben. Handelt es sich um Tiere, zu denen sie eine innige Beziehung hatten, ist ihre Aufmerksamkeit umso höher.

Bisher sei neben dem Menschen keine andere Art mit derart langem sozialem Gedächtnis wissenschaftlich dokumentiert. Von Menschen ist bekannt, dass ihr soziales Gedächtnis zwar nach etwa 15 Jahren des Nicht-Mehr-Sehens abnimmt, frühere Bekannte aber durchaus auch nach fünf Jahrzehnten noch erkannt werden. Bei Delfinen wiederum ist dokumentiert, dass sie die Stimmen von Artgenossen auch nach 20 Jahren noch wiedererkennen.

Die Forschenden um Laura Lewis von der University of California waren durch Erfahrungen bei der Arbeit mit Menschenaffen in Tierparks auf die Idee zur Studie gekommen: Sie hatten das Gefühl, dass die Tiere sie auch nach langer Zeit bei Besuchen noch wiedererkannten und ganz anders reagierten als bei den normalen Zoobesuchern.

Für Schlagzeilen hatte vor einigen Jahren die Schimpansin Mama gesorgt, die im hohen Alter von 59 Jahren im Burgers' Zoo in Arnheim starb: Auf dem Sterbebett erhielt sie noch einmal Besuch vom Verhaltensforscher Jan van Hooff, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte – und reagierte sichtlich erfreut, umarmte den ebenfalls betagten Wissenschaftler sogar.

Der Direktor des Tiergartens Nürnberg, Dag Encke (links) und der Kurator für Forschung und Artenschutz im Tiergarten, Lorenzo von Fersen.

Der Direktor des Tiergartens Nürnberg, Dag Encke (links) und der Kurator für Forschung und Artenschutz im Tiergarten, Lorenzo von Fersen. © Daniel Karmann/dpa

Ähnliche Berichte von Forschern und Pflegern über das Wiedererkennen ihrer Zöglinge nach langer Zeit gebe es viele, sagt Lorenzo von Fersen vom Tiergarten Nürnberg. Letztlich sei ein solches Langzeitgedächtnis auch nicht verwunderlich: "Informationen etwa zu einem bestimmten Problemlöseverhalten werden sogar schon von einem Wurm langfristig gespeichert."

Von Brieftauben wiederum sei bekannt, dass sie sich mehr als 700 abstrakte Muster dauerhaft merken können, erklärt der Tierpsychologe. "Nach sieben Monaten wurden von ihnen noch rund 80 Prozent der Muster klar erkannt." Wenn man sich klar mache, wie winzig das Gehirn einer Taube sei, lasse sich erahnen, welche gewaltigen Mengen an Erinnerungen bei kognitiven Spitzenreitern wie Menschenaffen oder Elefanten erhalten bleiben.

Elefanten zum Beispiel könnten nachweislich rund 100 Artgenossen allein anhand ihrer Laute auseinanderhalten, erklärt von Fersen. Von den Dickhäutern existieren ebenfalls zahlreiche Anekdoten über ein Wiedersehen nach vielen Jahren.

Erst im November berichtete der Zoo Zürich von der Rückkehr der 34-jährigen Panang: Die 1989 in Zürich geborene Elefantin hatte seit 1995 in München gelebt – und erkannte nach 28 Jahren Trennung ihre Mutter Ceyla-Himali ganz klar wieder, ebenso wie diese ihre Tochter.

Affen leben in Gruppen mit Freunden und Verwandten

Von Menschenaffen gebe es Berichte von Pflegern, dass von ihnen einst betreute Tiere nach vielen Jahren noch auf die früher eingeübten Handzeichen reagieren, sagt von Fersen. Ähnlich wie Menschen haben auch unsere nächsten lebenden Verwandten eine komplexe Gruppendynamik, sie bilden Freundschaften und Allianzen mit Artgenossen.

Das Team um Lewis hatte 26 Schimpansen und Bonobos aus Zoos in Edinburgh (Schottland) und Planckendael (Belgien) sowie dem Kumamoto Sanctuary in Japan einbezogen. Sie bekamen jeweils zwei Fotos eines unbekannten sowie eines Artgenossen gezeigt, der vor längerer Zeit aus der Gruppe genommen wurde oder gestorben war.

Um die Affen zur Teilnahme zu locken, gab man ihnen Saft. Ein Gerät zur Erfassung der Blickrichtung dokumentierte die Aufmerksamkeit der Tiere. Die Wissenschaftler vertraten die Grundannahme, dass die Bonobos und Schimpansen die Fotos ehemaliger Gruppenmitglieder länger betrachten würden. Tatsächlich verharrte der Blick der Tiere öfter und länger bei den Gesichtern alter Bekannter, unabhängig davon, wie lange sie diese nicht mehr gesehen hatten.

Gefährten auch nach Jahrzehnten wieder erkannt

Noch etwas intensiver passierte das, wenn die Tiere einst befreundet oder auf andere Weise eng verbunden waren. Als Extremfall schildern die Forscher das Verhalten des Bonobo-Weibchens Louise, das seine Schwester Loretta und den Neffen Erin seit mehr als 26 Jahren nicht mehr gesehen hatte – und deren Fotos auffallend intensiv betrachtete.

Insgesamt liegt die Lebenserwartung von Menschenaffen bei etwa 40 bis 60 Jahren. Die Ergebnisse seien ein klarer Hinweis darauf, dass Schimpansen und Bonobos ihre Gefährten auch nach mehreren Jahrzehnten noch wiedererkennen, sagt Mitautor Christopher Krupenye von der Johns Hopkins University in Baltimore. Und sie erinnern sich wahrscheinlich auch daran, wie stark sie dem jeweiligen Tier einst verbunden waren.

Die Studie sei auch ein Hinweis darauf, dass das lange soziale Gedächtnis schon vor etwa sechs bis neun Millionen Jahren bei den gemeinsamen Vorfahren von Bonobo, Schimpanse und Mensch vorhanden war. Es sei wahrscheinlich eine wichtige Grundlage für die Entwicklung der menschlichen Kultur gewesen und habe die Entstehung einzigartiger Formen der Interaktion wie den Handel zwischen Gruppen ermöglicht, bei dem Beziehungen über viele Jahre der Trennung aufrechterhalten wurden.

Ob sie Tiere vermissen, die plötzlich fehlen?

Das Team der Wissenschaftler stellt sich die Frage, ob die Affen vertraute Artgenossen vermissen, wenn sie nicht mehr mit ihnen zusammen sind. Das sei zu vermuten, mit der Studie aber nicht belegt.

Das Gefühl des Vermissens in Studien nachzuweisen sei außerordentlich schwierig, sagt der Nürnberger Tierpsychologe von Fersen dazu. Bekannt sei, dass manche Tiere merklich schlechter gestimmt sind und weniger fressen, wenn aus ihrer Gruppe ein Mitglied entfernt wurde. "Nachgewiesen ist zudem, dass Elefanten und Menschenaffen um Artgenossen trauern."

Soziales Erinnern gibt es übrigens nicht nur in positiver Hinsicht: Auch alte Feindschaften oder schlimme Erlebnisse bleiben im Gedächtnis. Im Tiergarten Nürnberg lebt beispielsweise der Gorilla Thomas, der Fotoapparate und Teleobjektive nicht leiden kann und mit Steinen nach ihnen werfe, erzählt von Fersen. Welche negative Erfahrung er damit verbindet? Man weiß es nicht. Besucher, so Fersen, würden jedenfalls mit einem Netz vor seinen Attacken geschützt.

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