Blütenpracht im Juni

Wandern im Ministaat: Darum wecken Andorras Berge das besondere Frühlingsgefühl

Birgit Nüchterlein

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16.2.2024, 19:55 Uhr
Über dem Nebel: Solche eindrücklichen Impressionen gibt es beim Wandern in den Bergen von Andorra.

© Birgit Nüchterlein Über dem Nebel: Solche eindrücklichen Impressionen gibt es beim Wandern in den Bergen von Andorra.

Es gießt. Einige haben den Regenschutz über ihre Rucksäcke gezogen, andere gleich den wasserdichten Poncho übergeworfen, die Kapuze tief in der Stirn. Aber die Wetter-App verspricht Besserung. Also steigen wir langsam und stetig auf dem schmalen, steinigen und von üppiger Vegetation gesäumten Pfad bergan. Vielleicht nicht ganz so stoisch wie Bobby und Noah, denen das alles gar nichts auszumachen scheint. Die beiden Esel begleiten uns mit ihrer chilenischen Führerin Samanta ein Stück des Weges.

Steuerparadies mit Anden-Feeling

Die Esel, Samanta und ihr Stetson-Hut - ein bisschen mutet die Szene an als spiele sie am Fuß der südamerikanischen Anden. Dabei sind wir in Andorra. Die naturbegeisterte Chilenin, eigentlich Skilehrerin, arbeitet hier auch als Ökowächterin im von der Unesco geschützten Tal Vall del Mariu-Perafita-Claror. „Ich weiß die Berge hier auch ohne Schnee zu schätzen“, betont sie lachend.

Andorra? Kann man da nicht steuerfrei einkaufen? Und wo genau liegt das nochmal? So lauten oft die Fragen, wenn es um den Zwergstaat geht. Und ja, günstig shoppen lässt es sich in dem unabhängigen Fürstentum zwischen Spanien und Frankreich auch. Vor allem im geschäftigen Andorra la Vella, der auf über 1000 Höhenmetern höchstgelegenen Hauptstadt Europas.

Vor allem Wald und Berge

Wer lieber wandert, freut sich darüber, dass 90 Prozent des dünn besiedelten Pyrenäenlandes aus wunderschöner, weit hinauf bewaldeter Berglandschaft besteht. Überragt wird sie vom fast 2950 Meter hohen Pic de Coma Pedrosa. „Die Natur ist Andorras Kapital“, sagt unsere Tourleiterin Friederike, die von den Katalanisch sprechenden Andorranern der Einfachheit halber Erika genannt wird. „Die Landschaft ist der Hauptgrund, warum ich seit mehr als 15 Jahren hier lebe“, erklärt die Endfünfzigerin, die ursprünglich aus Lemgo in Nordrhein-Westfalen kommt: „Ich liebe die abwechslungsreichen Wandermöglichkeiten.“

Weiße Pracht: Die Dichter-Narzisse (Narcissus Poeticus) wird als Andorras Nationalblume betrachtet. Beim Wandern sieht man sie häufig.  

Weiße Pracht: Die Dichter-Narzisse (Narcissus Poeticus) wird als Andorras Nationalblume betrachtet. Beim Wandern sieht man sie häufig.   © Birgit Nüchterlein

Klar, man darf sich fragen, ob die verhältnismäßig weite Anreise über Barcelona oder Toulouse gerechtfertigt ist. Streift man dann aber wie wir im Frühsommer durch die Gebirgswelt, sieht man alles mit Samantas Augen: „Ich genieße es, hier in den Bergen mit ihrer fantastischen Pflanzenwelt zu sein", sagt sie, "alles ist gut zugänglich, ausgeschildert - und sauber." Die Andorraner seien sehr umweltbewusst.

Tatsächlich bestimmt sattes Grün das Bild. Munter plätschern, rauschen und gurgeln von Regen- und Schmelzwasser gespeiste Bäche, denn versickern kann das Wasser im Granit kaum. Im Juni klettern die Temperaturen in der Regel auf etwa 20 Grad. Zum Wandern ideal - und trotzdem ist auf den Wegen angenehm wenig los.

Auch im Juni kann es in den Bergen Andorras mal regnen. Aber im Hintergrund ahnt man schon die Sonne. Auf dem Weg begleiten uns immer wieder munter plätschernde Bäche.

Auch im Juni kann es in den Bergen Andorras mal regnen. Aber im Hintergrund ahnt man schon die Sonne. Auf dem Weg begleiten uns immer wieder munter plätschernde Bäche. © Birgit Nüchterlein

Das Beste aber: Während in Deutschland schon Sommer ist, blüht Andorra erst so richtig auf. Man entdeckt die gelbe Trollblume, die wie eine kleine Pfingstrose aussieht, Sumpfdotterblumen leuchten sowieso um die Wette, dazu Ginster, Enzian und Vergissmeinnicht - und immer wieder der malvenfarbene Rhododendron.

Rustikale Bordas, romanische Kirchen

„Jede Woche gibt es ein anderes Blüten-Spektakel“, schwärmt Erika. Dass man zum Wandern und nicht zum Blumenfotografieren hergekommen ist, vergisst man angesichts der floralen Fülle leicht.

Der Mirador Roc del Quer im Herzen Andorras öffnet den Blick auf Berggipfel, Täler und Dörfer.

Der Mirador Roc del Quer im Herzen Andorras öffnet den Blick auf Berggipfel, Täler und Dörfer. © Birgit Nüchterlein

Egal, ob wir mit Samanta das mitunter mystisch nebel- und wolkenverhangene Tal von Madriu-Perafita-Claror im Süden erkunden, das Vall de Sorteny im Norden durchstreifen oder im für seine alpinen Blumenwiesen bekannten Vall d’Incles wandern: Immer wieder stoßen wir auf rustikale „Bordas“ - uralte Berghütten aus rohem Granit, die mit ihrem Dach aus schwarzem, leicht von Rost durchzogenem Eisenschiefer allen Wettern trotzen. Manche bieten Grillmöglichkeiten, andere sind bewirtschaftet. Für den Charakter der Landschaft sind sie genauso prägend wie die romanischen Kirchen und Kapellen mit ihren lombardischen Zwillingsfenstern.

Süßes Projekt

In einer kleinen Borda in Aldosa de Canillo im Herzen des Landes hat sich der Franzose Mathieu mit einem süßen Projekt eingerichtet: Der ehemalige Spitzenkoch aus der Bretagne ist einer der wenigen Imker im Land. Gemeinsam mit Heiko, einem Brauerei-Berater aus Zwickau, arbeitet er an einer neuen Idee: Honig-Met.

Blumen und üppige Vegetation am Wegesrand.

Blumen und üppige Vegetation am Wegesrand. © Birgit Nüchterlein

Die beiden sind neben Samanta und Erika nicht die einzigen, die ihr Glück in Andorra gefunden haben. In einer Berghütte im Sorteny-Tal treffen wir die Argentinierinnen Augustina und Daniela, die zum Arbeiten ins Land gekommen sind - genau wie die beiden kolumbianischen Kellner in unserem Hotel. Auch Hans, ein aus München stammender Fernwärme-Ingenieur und Staudamm-Experte, der gleich hinter der Grenze in Spanien wohnt, arbeitet hier. Der Zufall will es, dass er Mittelfranken gut kennt: Das Haus seiner Großeltern steht in Herzogenaurach.

80 Nationen

Aus insgesamt rund 80 verschiedenen Nationen kommen die Menschen, die in Andorra mit seinen gerade mal knapp 80.000 Einwohnern leben. Mag sein, dass viele von ihnen den gut 450 Quadratkilometer großen Staat vor allem als Steueroase schätzen. Für uns ist er ein kleines Wanderparadies.

Mehr Informationen:

Wikinger Reisen

wikinger-reisen.de

Tel.: 02331/9046

Anreise:

Flüge ab Nürnberg, München und Frankfurt nach Barcelona, dann weiter mit dem Bus/Auto

Beste Reisezeit:

Frühjahr/Sommer zum Wandern, Winter zum Skifahren

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