Bürgerbegehren "rechtlich unzulässig"

365-Euro-Ticket für Nürnberg: Stadt will keinen Bürgerentscheid

Marco Puschner

Lokalredaktion Nürnberg

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30.6.2022, 10:26 Uhr
Titus Schüller (re.) und seine Mitstreiter waren beim Unterschriften-Sammeln erfolgreich, doch nun möchte die Stadt Nürnberg das Bürgerbegehren als nicht zulässig einstufen. 

© Roland Fengler, NNZ Titus Schüller (re.) und seine Mitstreiter waren beim Unterschriften-Sammeln erfolgreich, doch nun möchte die Stadt Nürnberg das Bürgerbegehren als nicht zulässig einstufen. 

Am 8. Juli befasst sich der Stadtrat in einer Sondersitzung mit der Frage, ob das Bürgerbegehren für das 365-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr rechtlich zulässig ist. Die Stadt Nürnberg ist der Auffassung, dass das Anliegen der Einführung einer solchen billigen Jahreskarte "den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit" widerspricht.

Schließlich müsste die Stadt jährlich 23,6 Millionen Euro (mit steigender Tendenz) investieren, um die Karte zu ermöglichen. Dem stünde ein sehr geringer verkehrs- und sozialpolitischer Nutzen gegenüber. Deswegen sei das Bürgerbegehren als "unzulässig" zurückzuweisen. Mit diesem Beschlussvorschlag will Oberbürgermeister Marcus König (CSU) in die Sondersitzung gehen. Es gilt als ziemlich sicher, dass der Stadtrat der Empfehlung folgen wird.

"Der geforderte Bürgerentscheid findet somit nicht statt", ist in den Unterlagen für die Stadträte zu lesen. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens, die sich aus dem Kreis der Linkspartei rekrutieren und die 18.000 Unterschriften für ihr Vorhaben gesammelt haben, wollen gleichwohl nicht aufgeben. Sie verweisen darauf, dass 2020 das Bürgerbegehren noch als rechtlich zulässig eingestuft worden ist.

Keine anderen rechtlichen Rahmenbedingungen

"An den rechtlichen Rahmenbedingungen hat sich in den letzten zwei Jahren nichts geändert", argumentiert Linken-Stadtrat Titus Schüller. Es dränge sich der Verdacht auf, dass OB König eine politische und keine rechtliche Bewertung vollzogen habe. Das sei aber nicht legitim. CSU-Stadtratsfraktionschef Andreas Krieglstein hält Schüllers Aussagen angesichts einer veränderten Haushaltslage für "eindeutig falsch".

Schüller und seine Mitstreiter müssen nun abwarten, ob der Stadtrat in der besagten Sondersitzung der Auffassung der Stadtspitze folgt. Wenn ja, bekämen die Initiatoren einen entsprechenden Bescheid, gegen den sie dann Klage einreichen wollen. Mit der juristischen Vertretung ihrer Anliegen haben die Linken die Rechtsanwältin und frühere SPD-Landtagsabgeordnete Adelheid Rupp beauftragt.

Linken-Landessprecherin Kathrin Flach Gomez betont, dass bis zur finalen rechtlichen Entscheidung keine Beschlüsse gefasst werden dürfen, die die Ziele des Bürgerbegehrens gefährdeten. Neben dem 365-Euro-Ticket ist auch der Verzicht auf Fahrpreiserhöhungen im Jahr 2023 und der Beibehalt des 2021 eingeführten Sozialtickets Teil des Papiers, das die Linken den Bürgern zum Entscheid vorlegen wollen.

Beschluss gekippt

2020 war das Bürgerbegehren zwar als rechtlich zulässig eingestuft worden - es kam damals aber trotzdem nicht zum Bürgerentscheid, weil sich OB König und die Stadtratsfraktionen mit den Initiatoren darauf einigten, das 365-Euro-Ticket zum 1. Januar 2023 einzuführen. Im März 2022 hat der Stadtrat diesen Beschluss von 2020 aber wegen der angespannten Haushaltslage gekippt.

Die Initiatoren werfen der Stadtspitze und den Fraktionen von CSU und SPD seither Wortbruch vor, weil die Vereinbarung von 2020 einseitig aufgekündigt worden sei, ohne vorher mit Schüller und Co. das Gespräch zu suchen.

Eine Notwehrmaßnahme

Stadtkämmerer Harald Riedel (SPD) hat es angesichts einer aus seiner Sicht alarmierenden Haushaltslage kürzlich indes als "Notwehrmaßnahme" bezeichnet, dass der Beschluss für das Ticket revidiert werden müsse. In dem Bericht für die Sitzung am 8. Juli wird ausgeführt, dass sich die 2020 bereits absehbare Verschlechterung der Haushaltslage durch die anhaltende Corona-Krise, die Folgen des Kriegs gegen die Ukraine und die Inflation noch verschärft habe.

Riedel hat erste Zahlen aus dem Haushaltsentwurf für 2023 bereit gestellt. Demnach weist der Ergebnishaushalt für 2023 ein Minus von 23,1 Millionen Euro auf, das sei gegenüber der 2021 erstellten mittelfristigen Planung noch einmal eine Verschlechterung um 14,4 Millionen Euro.

Nettoneuverschuldung von 207,6 Millionen Euro

Das "aktuell vorliegende Investitionsvolumen" würde nach dem "derzeitigen Berechnungsstand eine Nettoneuverschuldung im Jahr 2023 in Höhe von 207,6 Millionen Euro nach sich ziehen", heißt es in dem Bericht. Eine solche Verschuldung sei in dieser Höhe "auf Dauer auch nicht ansatzweise tragbar". In dem Bericht wird auch auf die Mahnung der Regierung von Mittelfranken hingewiesen.

Diese hatte als zuständige Aufsichtsbehörde den Haushalt für 2022 nur unter Auflagen genehmigt und die Stadt ausdrücklich vor der Einführung des 365-Euro-Tickets gewarnt. Riedel befürchtet, dass die Stadt keine Haushaltsgenehmigungen mehr bekommt. Dies wäre laut Bericht mit einem "erheblichen Imageschaden" und "handfesten Konsequenzen" verbunden, zum Beispiel dürften keine neuen Baumaßnahmen begonnen werden (das beträfe auch das Opern-Interim). In der Vorlage für die Räte warnt die Verwaltung vor dem "Verlust der kommunalen Gestaltungsspielräume".

Frage der politischen Gewichtung

Die Initiatoren des Begehrens wehren sich gegen den Vorwurf, für diese Szenarien verantwortlich zu sein. Felix Heym, Kreisvorsitzender der Nürnberger Linken, mahnt eine andere politische Gewichtung an. Es gelte, Prestigeprojekte wie die Bewerbung für die Landesgartenschau zu hinterfragen und Maßnahmen zur Gegenfinanzierung des 365-Euro-Tickets wie eine bessere Parkraumbewirtschaftung ernsthafter zu prüfen.

Hohe Investitionen in den ÖPNV

Die Stadt wiederum weist darauf hin, dass auch ohne 365-Euro-Ticket in den öffentlichen Nahverkehr gewaltig investiert werde: Zwischen 2019 und 2025 fließen demnach insgesamt zirka 800 Millionen Euro in Taktverdichtungen, Straßenbahnlückenschlüsse und ähnliche Verbesserungen.

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