Muss der frühere Anwalt der Neuselsbrunner in Haft?

22.1.2020, 14:22 Uhr
Muss der frühere Anwalt der Neuselsbrunner in Haft?

© Roland Fengler

Untreue in fünf Fällen hatte das Amtsgericht dem 57-Jährigen vorgeworfen und dafür im November 2018 eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt – zuzüglich drei Jahren Berufsverbot. Dagegen legte Kratzer Berufung ein, zumal dieses Strafmaß nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dass die 11. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth diese Berufung auf Antrag der Staatsanwaltschaft verwarf, hat der Jurist Kratzer letztlich selbst herbeigeführt.

Bereits im August 2019 erhielt Klaus Kratzer die Ladung zu dem Verfahren gestern. Nach der Strafprozessordnung war er damit verpflichtet zu erscheinen – es sei denn, es spräche ein gewichtiger Grund dagegen. Anfang vergangener Woche leitete er dem Gericht ein ärztliches Attest zu, wonach er arbeitsunfähig sei. Doch arbeitsunfähig ist längst nicht gleichbedeutend mit verhandlungsunfähig. Weshalb Kratzer am späten Montagnachmittag ein weiteres Attest nachschob, das ebenfalls in der Verhandlung gestern verlesen wurde.


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Der Nürnberger Allgemeinmediziner Dr. M. bescheinigte dem angeklagten Anwalt darin unter anderem eine akute Magen-Darm-Problematik, gepaart mit höchster innerer Anspannung und Erschöpfungszuständen. Es bestehe die Gefahr eines Herzinfarktes und der Erblindung durch einen neuerlichen Augeninfarkt aufgrund von erhöhtem Augeninnendruck. Auf telefonische Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Martina Müller allerdings zeigte sich, dass der Mediziner all diese Diagnosen nicht selbst gestellt, sondern sich allein auf die Aussagen Klaus Kratzers bezogen hatte.

Der Chef der Erlanger Rechtsmedizin, Prof. Peter Betz, den die Kammer kurzfristig als Zeugen geladen hatte, zerpflückte im Anschluss beide Atteste. Das Magen-Darm-Syndrom lasse sich "objektiv nicht feststellen", die in den Attesten geschilderten Begleitumstände seien teilweise "nicht glaubhaft" und teilweise "unverständlich", so der Rechtsmediziner. So gäben die Atteste auch "nicht im Ansatz Hinweise auf eine kardiale Problematik". Und ein erhöhter Augeninnendruck führe niemals zu einem Augeninfarkt, der nur durch einen Gefäßverschluss ausgelöst werden könne. Unter dem Strich, so Rechtsmediziner Betz, ergebe sich aus den Attesten nicht, dass der Angeklagte verhandlungsunfähig sei.

Kratzers Verteidiger Jürgen Lubojanski gab zu Protokoll, sein Mandant habe am Vortag über akute gesundheitliche Probleme geklagt und befinde sich aktuell in einem kardiologischen Zentrum zur Herzkatheter-Untersuchung.


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Während der folgenden Verhandlungspause nahm die Vorsitzende Richterin Kontakt zu dem behandelnden Kardiologen, Dr. R., auf. Das Ergebnis der zwei Telefonate: Weder das EKG noch die darauf folgende Katheter-Untersuchung ergaben irgendwelche Auffälligkeiten, geschweige denn einen medizinischen Befund. Es liege "keinerlei Herzerkrankung" vor, zitierte Richterin Müller den Mediziner, nach dessen Einschätzung Kratzer gestern zum Zeitpunkt des Verhandlungsbeginns, also um 9 Uhr vormittags, verhandlungsfähig gewesen wäre.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft verwarf das Gericht die Berufung Kratzers mit der Begründung, dass er der Verhandlung unentschuldigt ferngeblieben sei. Verteidiger Lubojanski kündigte noch im Gerichtssaal an, dagegen vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht Revision einzulegen.

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