Debatte um Arbeitszeit

Lindner will mehr "Lust auf Überstunden" - und liegt damit richtig

Alexander Jungkunz

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8.4.2024, 15:00 Uhr
Drängt auf längere Arbeitszeiten: Christian Lindner.

© Michael Kappeler/dpa Drängt auf längere Arbeitszeiten: Christian Lindner.

Scherzkekse werden Christian Lindners Ansage in der Talkshow von Caren Miosga erst mal als Appell an die Ampel-Parteien verstehen: Mehr Überstunden und Lust an dieser Mehrarbeit hat der FDP-Chef gefordert. Soll doch die Koalition mehr und vor allem besser arbeiten, dürften da manche denken.

Wir arbeiten immer weniger

Dabei sprach der Liberale sehr wohl einen kritischen Punkt an. Wir Deutsche arbeiten immer weniger. Das kann man natürlich positiv sehen: Je geringer die Arbeitszeit, desto höher kann die Lebensqualität vieler Menschen ausfallen; langfristig ist die Zahl der Stunden, die wir arbeiten, ja dramatisch gesunken.

Aber wir müssen die logischen Folgen sehen, wenn das Arbeitsvolumen pro Kopf sinkt. Die sind einfach nicht auszublenden. Wer weniger arbeitet, zahlt auch weniger in die Sozialkassen ein. Und erhält daher auch eine niedrigere Rente - deren Niveau in Deutschland ohnehin geringer ist als in etlichen anderen Staaten.

Momentan läuft der Trend in die entgegengesetzte Richtung. Die Vier-Tage-Woche ist auf dem Vormarsch. Die Arbeitszeit pro Kopf betrug im vergangenen Jahr 1270,5 Stunden - das sind 200 weniger als 1991. Und jeder Beschäftigte leistete 2023 gut 13 bezahlte Überstunden - 1991 waren es noch über 46. In der EU arbeiten nur die Dänen und die Niederländer weniger als wir Deutschen. Der Trend zur Teilzeit schlägt hier ebenfalls zu Buche: 39 Prozent arbeiten aktuell Teilzeit, 1991 war es die Hälfte.

Lindner liegt da auf einer Linie mit Habeck

Daher liegt Lindner nicht daneben mit seiner Forderung, die Deutschen sollten zumindest wieder mehr Lust am Arbeiten haben. Da stimmt er ausnahmsweise mal mit Wirtschaftsminister Robert Habeck überein. Der Grüne sagte kürzlich, es werde "zu viel" für immer weniger Arbeit geworben. Und: "Es ist nicht schlimm zu arbeiten."

Für eine wachsende Zahl von Deutschen offenbar doch. Zumindest ist ihnen Arbeit weniger wichtig als früheren Generationen, bei denen möglichst viele Überstunden und möglichst volle Terminkalender als Auszeichnung galten. 86 Prozent antworteten, dass sie keine oder nur eine geringe Bindung an ihre Arbeit empfinden.

Das ist ein Trend, der den Arbeitgebern noch mehr zu denken geben muss als der Politik. Denn Unternehmen werden angesichts der Bevölkerungsentwicklung zusehends Probleme haben, gute Kräfte zu finden. Um sie zu binden, müssen sie attraktiv(er) werden - nicht nur bei der Bezahlung.

Und die Politik hat es durchaus in der Hand, dafür zu sorgen, dass Arbeit interessanter wird - wenn sie sich mehr lohnt. Da kann Lindner gern Ideen liefern. Denn auf Dauer wird nicht beides gehen - sinkendes Arbeitsvolumen und leicht steigende Sozialausgaben. Wenn wir unseren (bröckelnden) Wohlstand und unseren Sozialstaat erhalten wollen, werden nicht alle weniger, sondern etliche mehr arbeiten müssen - und im besten Fall wollen sie das sogar, weil ihnen Arbeit Freude macht.

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