Rechtspopulisten trotzen Skandalen

Stärkste Partei fast überall: Ist die AfD im Osten überhaupt noch aufzuhalten?

Harald Baumer

Korrespondent Berlin

E-Mail zur Autorenseite

11.6.2024, 15:00 Uhr
Alice Weidel und Tino Chrupalla geben eine Pressekonferenz nach der Europawahl.

© Kay Nietfeld/dpa Alice Weidel und Tino Chrupalla geben eine Pressekonferenz nach der Europawahl.

Man könnte auf den ersten Blick meinen, es handle sich um ein anderes Land, das da gezeigt wird. Wer nach der Europawahl eine Karte mit den regional stärksten Parteien in der Bundesrepublik betrachtet, der sieht im Osten fast nur Blau - die Farbe der AfD. Es war ein langer Prozess bis dahin, aber inzwischen steht fest: Die Rechtspopulisten sind zwischen Greifswald und Gera auf dem Weg zur wichtigsten Volkspartei, selbst wenn ihre Landrats- und Bürgermeisterkandidaten oft noch nicht erfolgreich sind.

Logisch zu erklären ist das nicht unbedingt. Der Osten verfügt über starke Wirtschaftsregionen, etwa in Jena, Leipzig und Dresden. Der massiv kritisierte Ausländeranteil ist hier deutlich niedriger als in manchen Westländern. Und die Infrastruktur aus Straßen und Brücken ist vielerorts in besserem Zustand als an Rhein, Ruhr und Weser.

Ein ganz großer Unterschied besteht in der Wut auf alles Etablierte (Parteien der Mitte, Medien, Verbände), die es zwar auch im Westen gibt, die aber im Osten geradezu endemische, also ganze Landstriche prägende Ausmaße erreicht hat.

Bald AfD-Landtagspräsidenten?

Diese politische Spaltung Deutschlands könnte zu einem großen Problem werden, wenn es so weitergeht. Die AfD wird über kurz oder lang im Osten Landtagspräsidenten stellen. Zudem könnte sie mit ihren 34 (Umfrage-)Prozent in Sachsen in Kombination mit der ebenfalls sehr starken Wagenknecht-Partei (elf Prozent) die Regierungsbildung schwierig bis unmöglich machen.

Die AfD scheint komplett immun zu sein gegenüber allen Vorwürfen, egal, ob es sich um Spionage, Korruption oder um eindeutig faschistische Sprüche des Spitzenpersonals handelt. All das wird nicht den Betroffenen angelastet, sondern für eine Kampagne der Gegner gehalten.

Schlimmstenfalls droht Deutschland mittel- bis langfristig eine hartnäckige Ost-West-Spaltung. Die USA machen es uns vor, was geschehen könnte. Dort glauben die Anhänger des einen Lagers den Anhängern des anderen Lagers schier gar nichts mehr. Zwischen dem evangelikalen "Bibelgürtel" im Süden (republikanisch) und weltoffenen Staaten wie Kalifornien und New York (demokratisch) klaffen kaum überbrückbare Unterschiede.

Der Riss ist schon zu tief

Gibt es ein Rezept gegen dieses Auseinanderdriften? Die wenig optimistische Antwort für den Osten lautet: mittelfristig eher nein. Der Riss ist schon sehr tief. Das Wählen der AfD hat für ein Drittel offenkundig identitätsstiftenden Charakter. Außerdem wird die Bewegung ja nicht nur von unzufriedenen älteren Menschen, sondern neuerdings auch von erstaunlich vielen Erstwählern getragen.

Im Westen besteht mehr Anlass zur Hoffnung. Wenn die Parteien der Mitte eine schlüssigere Politik machen, mehr auf die dringenden Wünsche der Mehrheit hören und anders miteinander umgehen, wird es die AfD niemals über die 20-Prozent-Marke hinaus schaffen. Das ist zwar unglaublich viel, aber es kann die Demokratie nicht ernsthaft gefährden.

2 Kommentare