Ein Richter als Corona-Leugner: Ist das noch Meinungsfreiheit?

31.1.2021, 05:50 Uhr
Ein Richter als Corona-Leugner: Ist das noch Meinungsfreiheit?

© Daniel Karmann/dpa

In Ansbach sorgte jüngst ein Richter für Aufsehen, weil er einer Staatsanwältin und den Rechtsanwälten frei stellte, eine Maske zu tragen – obwohl in dem Saal keine schützenden Plexiglaswände aufgestellt waren. Tage später erschien er mit Maske. Sorgen Sie als OLG-Präsident für Disziplin?

Thomas Dickert: Zu diesem konkreten Fall will ich mich nicht äußern. Ich will die Dienstaufsicht nicht über die Medien ausüben. Nur so viel: Überzeugungskraft ist oft wirksamer als der erhobene Zeigefinger.

In öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkaufen ist eine FFP2-Maske Pflicht. Auch im Justizgebäude muss vor den Sitzungssälen und auf den Gängen ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Doch im Saal stellen es die Richterinnen und Richter den Anwesenden häufig frei, ob eine Maske getragen oder abgenommen werden muss.

Thomas Dickert: Mein Hausrecht als Präsident endet tatsächlich an der Tür zum Sitzungssaal. Im Saal entscheiden die Richterinnen und Richter, ob und in welchem Umfang eine Maske getragen werden muss. Um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren, haben wir das Hygienekonzept mit Lüften, Abstandsgebot und Zuhörerbeschränkung entwickelt. Diese Maßnahmen müssen im Saal eingehalten werden. Schließlich müssen wir, gerade in Krisenzeiten, unseren Anspruch, eine tragende Säule des Rechtsstaats zu sein, erfüllen. Die Justiz kann nicht einfach auf Notbetrieb umschalten. Doch eine Maskenpflicht im Saal kann ich als Präsident nicht anordnen.

Sie fällt in den Bereich der richterlichen Unabhängigkeit.

Thomas Dickert: Das Gerichtsverfahrensgesetz schreibt in § 176 vor, dass an der Verhandlung beteiligte Personen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen. Hintergrund ist der Gedanke der offenen Kommunikation. Speziell im Strafprozess müssen die Prozessbeteiligten die Mimik der Angeklagten oder Zeugen sehen können, um dies in der Bewertung der Aussage zu berücksichtigen. Wie gesagt, es liegt in der Entscheidungskompetenz der Richter, ob Masken zu tragen sind, der Vorsitzende kann Ausnahmen vom Vermummungsverbot gestatten. Aber auch ohne Masken ist unser Hygienekonzept tragfähig und mit den Gesundheitsämtern abgestimmt. Hintergrund des Vermummungsverbotes waren übrigens Gesichtsschleier, wie sie von muslimischen Frauen als Zeichen ihres Glaubens getragen werden, es umfasst aber auch Masken, Sonnenbrillen, Sturmhauben und Motorradhelme.

Ein Richter als Corona-Leugner: Ist das noch Meinungsfreiheit?

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Umgekehrt können sich Zeugen nicht herausnehmen, den Sitzungssaal zu verlassen, wenn sie sich mit Richtern ohne Masken unsicher fühlen.

Thomas Dickert: Wie gesagt, unser Hygienekonzept ist tragfähig. Wahrscheinlich sind die Menschen bei uns besser geschützt als im Supermarkt. Aber angenommen, jemand hat große Sorge an Covid-19 zu erkranken, etwa weil er ein schwaches Immunsystem hat oder Risikopatient ist, könnten wir auf dessen Erscheinen im Sitzungssaal unter Umständen auch verzichten und diesen Zeugen beispielsweise per Video vernehmen; dafür gelten allerdings strenge Voraussetzungen. Außerdem haben wir über den gerichtsärztlichen Dienst die Möglichkeit zum Schnelltest. Der Vorsitzende Richter könnte vor einer Hauptverhandlung anordnen, dass sich alle Beteiligten einem Schnelltest unterziehen. Auch dies fällt in die richterliche Unabhängigkeit.

Doch die richterlichen Unabhängigkeit meint nicht die Idee einer privaten Gerechtigkeit. Gerade sorgt ein Amtsrichter aus Weimar für Wirbel. Als Privatmann klagte er bereits mehrfach gegen den Freistaat Thüringen, um Maskenpflicht und Abstandsregeln zu kippen.

Thomas Dickert: Die Meinungsfreiheit, die das Grundgesetz garantiert, gilt natürlich auch für Richter, wie für jeden anderen Staatsbürger auch. Doch als Richter habe ich eine besondere Verantwortung und repräsentiere in meiner Person die Dritte Gewalt. Darum gilt ein besonderes Gebot der Mäßigung für Richter. Um dieser Rolle dienstlich wie privat gerecht zu werden, würde ich persönlich weder auf dem Hauptmarkt demonstrieren, noch mich als Mitglied einer Partei besonders exponieren.


Der Weimarer Richter scheint dagegen seine privaten Vorbehalte gegen die Corona-Maßnahmen als Rechtsauffassung in den Gerichtssaal zu tragen: Im April 2020 sprach er einen Mann frei, der gegen die dortigen Corona-Regeln verstieß. Die Begründung: es habe kein Gesundheitsnotstand geherrscht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kommentierte, dass der Kollege die Pandemie einschätzt, ohne sich mit den wissenschaftlichen Grundlagen auseinander zusetzen.

Thomas Dickert: Wie gesagt, ein Richter muss sich so verhalten, dass in der Öffentlichkeit kein ernstlicher Zweifel daran auftritt, dass er gerecht, unbefangen und unabhängig urteilt. Je näher öffentliche Äußerungen dem dienstlichen Bereich des Richters kommen und je höher sein Amt ist, desto mehr Zurückhaltung ist geboten. Sonst nimmt der Grundsatz richterlicher Unbefangenheit und Unabhängigkeit erheblichen Schaden.


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Die richterliche Unabhängigkeit ist nicht als Privileg, sondern vor allem als Verpflichtung zu verstehen.

Thomas Dickert: Blicken wir in die Türkei: Vor fast fünf Jahren haben Teile des Militärs gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdogan geputscht, seither gibt es regelmäßig Razzien, die Regierung geht gegen Oppositionelle vor, fast 3000 Richter und Staatsanwälte wurden entlassen. Auch Polens Regierung versucht, Richter in die Zwangsrente zu schicken und Sonderkammern zu erstellen, die von der Regierung kontrolliert werden. In einem Rechtsstaat müssen Richter ihre Aufgaben aber ohne Druck ausüben können: ohne Intervention durch die Politik etwa. Und natürlich darf es auch keine Rolle spielen, ob auf Facebook einer den Daumen hebt oder senkt, über eine angeblich zu milde oder zu strenge Strafe. Die Unabhängigkeit der Richter bei ihren Entscheidungen darf nicht gefährdet werden.

Auch nicht von unzufriedenen Kunden, die sich aufgrund ergangener Urteile unzufrieden sind und sich bei Ihnen beschweren.

Thomas Dickert: Wer mit einem Urteil nicht einverstanden ist, kann Rechtsmittel einlegen, in Berufung oder Revision gehen. Doch eine Entscheidung abzufassen, gehört in den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit. Ebenso die Terminierung, die Vorbereitung und die Durchführung des Verfahrens. Dagegen ist es eine Frage der äußeren Ordnung, ob Richter pünktlich sind, Fristen und Termine einhalten, einen angemessenen Umgang mit den Beteiligten pflegen und ihre Amtsgeschäfte unverzögert erledigen. In diesem Bereich hat der Dienstvorgesetzte gewisse Möglichkeiten.

Auch Richter werden in ihrer Leistung beurteilt, und Unabhängigkeit meint nicht Willkür.

Thomas Dickert: Offensichtliche Fehlgriffe, die von der Unabhängigkeit nicht umfasst sind und damit der Dienstaufsicht unterliegen, würden vorliegen, wenn ein formell aufgehobenes Gesetz angewendet oder ein allgemein bekanntes Gesetz nicht angewendet wird. Termine sollen ohne sachlichen Grund nicht hinausgeschoben werden und auch verbale Exzesse ohne jeden inhaltlichen Bezug zum behandelten Fall nehme ich nicht hin. Vor vielen Jahren habe ich mich über einen Richter beschwert; er hatte regelmäßig Menschen ausländischer Herkunft nachgeäfft und deren Aussprache verhöhnt. So etwas geht nicht und schadet dem Vertrauen der Menschen in die Justiz.

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