Noch bis 5. August

Marketingprofi und "Goldmacher": Gunzenhäuser Bücherei zeigt Ausstellung über Johann Reichardt

ab-Redaktion

5.7.2022, 19:00 Uhr
Stadtarchivar Werner Mühlhäußer hat die Ausstellung über Johann Reichardt mitkonzipiert und weiß am 12. Juli viele interessante Geschichten zu erzählen.

© Babett Guthmann, NN Stadtarchivar Werner Mühlhäußer hat die Ausstellung über Johann Reichardt mitkonzipiert und weiß am 12. Juli viele interessante Geschichten zu erzählen.

So richtig begreifen oder in den Gunzenhäuser geschichts-historischen Kontext einordnen, lässt sich die Person Johann Reichardt bis heute nicht. Unheimlich war er ja schon, mit seinem langen schwarzen Mantel, seinem durchdringenden Blick und seiner schroffen, mürrischen Art, mit der er viele Menschen vor den Kopf stieß.

Privatzoo und Reichtum

Dazu seine mysteriösen Experimente in den dunklen Felsenkellern am Rande der Stadt, sein exotischer Privatzoo und ein unerklärlicher Reichtum.

Eine der schillerndsten Figuren der Stadtgeschichte: Johann Reichardt.

Eine der schillerndsten Figuren der Stadtgeschichte: Johann Reichardt. © Babett Guthmann, NN

Reichardt (1897 bis 1974) war unantastbar und bewegte sich außerhalb gesellschaftlicher Normen. Stand er gar über dem Gesetz? Nicht auszuschließen, denn selbst die Nazis konnten ihm nichts anhaben, trotz mehrfacher Versuche.

Und dass, obwohl er in gleichgeschlechtlicher Beziehung lebte und von Gunzenhausens NS-Bürgermeister Johann Appler sogar als „Judenknecht“ diffamiert wurde.

Exzellenter Geschäftsmann

Für Stadtarchivar Werner Mühlhäußer ist „der Reichardt die vielleicht schillerndste Figur der Gunzenhäuser Geschichte“. Doch damit nicht genug: Johann Reichardt war ein exzellenter Geschäftsmann, der sich zu vermarkten wusste und diesbezüglich seiner Zeit weit voraus war. Noch heute sind typische Reichardt-Werbesprüche wie „Vorbeugen ist besser als Heilen! Und kostet auch weniger!“ bei vielen Bürgerinnen und Bürgern bekannt.

Zahlreiche Gespräche zwischen Stadtarchivar und Zeitzeugen haben den Mythos Reichardt ein wenig runder gemacht, doch auf viele Fragen gibt es nach wie vor keine Antworten.

Das Interesse am Goldmacher von Gunzenhausen ist ungebrochen groß. Daher hat das Stadtarchiv gemeinsam mit der Stadt- und Schulbücherei Gunzenhausen an einer Ausstellung mit Exponaten aus dem Leben Johann Reichardts gearbeitet.

Persönliche Gegenstände

Zu sehen sind in der Bücherei jetzt unter anderem Originaldokumente, Fotografien und Zeitungsberichte. Dazu zahlreiche persönliche Gegenstände und Bücher. Zur Eröffnung war der Gunzenhäuser Debattierclub um Hubert Bauer eingeladen, natürlich nicht ohne Hintergedanken. Denn: So mancher der Runde hatte den Goldmacher von Gunzenhausen noch selbst erlebt.

In erster Linie fasziniert bei der Person Johann Reichardt der Mythos ums Goldmachen, doch auch andere Facetten sind erzählenswert. Zur Erinnerung: Aus einem mittelalterlichen Stadtmauerstück wurde ein Glasgefäß geborgen, das eine geheimnisvolle Anleitung zum Goldmachen enthielt.

Reichhardt übersetzte die Hinweise und stellte in seinem Felsenkeller, das bestätigten damals mehrere Zeugen, das Edelmetall her. Ob das aber wirklich stimmt, kann heute niemand mehr sagen.

Ausbildung zum Metzger

Reichardt liebte die Selbstinszenierung: In die Wände des Kellers waren mystische Symbole geritzt, schwach beleuchtet von wenigen Kerzen. Nur ausgewählte Gäste durften einen Blick ins schaurige Labor werfen. Fotos davon existieren und zeigen einen geheimnisumwitterten Raum, von dem etwas Verbotenes ausgeht.

Gerade einmal 13 Jahre jung war er, als er in Rothenburg ob der Tauber eine Ausbildung zum Metzger begann. Er sollte einmal die Gaststätte der Eltern übernehmen. Diese lag im Schwarzviertel Gunzenhausens, in der Nähe des Schießwasens.

Nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt stieg sein Interesse an der menschlichen Anatomie, der Humoralpathologie (sog. Lehre der Säfte) und sonstigen alternativen Heilungsmethoden. Es ist zwar nicht belegt, doch vielleicht fand er durch das Schlachten von Tieren seinen Zugang zur Naturheilkunde.

Mit Geistern in Verbindung

Seine erste Praxis eröffnete er in den 1920er Jahren und legte damit wohl den Grundstein für sein späteres Vermögen. Damit einhergehend verwandelte er sich in den mythischen Johann Reichardt, einen Hexenmeister, der den okkulten Wissenschaften zugeneigt war und mit Geistern in Verbindung stand.

Einer Überlieferung nach soll er etwa einmal ein Zauberbuch zum Buchbinder gegeben haben. Dieser hatte strikte Anweisung, nicht ins Buch zu blicken, konnte der Versuchung jedoch nicht widerstehen und war daraufhin gelähmt.

Nur der herbeieilende Johann Reichardt konnte den armen Buchbinder mittels Zauberspruch von der Lähmung befreien. So zumindest die Legende, die der findige Geschäftsmann durch Verhalten, Gesten und Mimik noch befeuerte.

Salben, Tees und gute Ratschläge

Mit großem Engagement verfeinerte er in den Jahren sein Portfolio, bot Salben, Tees und gute Ratschläge an. Sein Drachenblut, ein hochprozentiger Likör mit Beerennote, galt als Wundermittel und wurde auch überregional gerne getrunken. Kamen seine Kunden doch von überall her und sogar NSDAP-Gauleiter Julius Streicher soll einer davon gewesen sein.

Reichardt empfing sie mürrisch sitzend am Schreibtisch, mit Totenschädel und alten Folianten vor sich. Einen Federkiel in der Hand und kaum vom Gekritzel aufsehend, diagnostizierte er und versprach Heilung. Bezahlen ließ er sich oft in Naturalien, ärmere Menschen behandelte er umsonst.

Reichardt war sehr religiös - unter anderem war er zweimal beim Papst in Rom, wie Urkunden belegen. Die erste Reise dorthin unternahm der gläubige Protestant 1925 mit dem Motorrad.

Heilkräfte des Honigs

Seinen damals vielgelesenen Ratgeber „Ratschläge für Gesunde und Kranke“ verfasste er bereits 1935 und druckte diesen im Eigenverlag rund 10000-mal. Vollgepackt mit Binsenweisheiten schrieb er darin über goldene Lebensregeln, die Schädlichkeit des Rauchens und die Heilkräfte des Honigs.

Die Broschüre verschickte er in bedruckten Werbeumschlägen oder verkaufte sie am Fensterladen. „Tausende Dankesschreiben“ will er erhalten haben, doch ein angenehmer Zeitgenosse war er nicht – besonders Kinder machten einen großen Bogen um ihn und seine Praxis.

Zahlreiche Grundstücke in und um Gunzenhausen wechselten nach und nach in seinen Besitz, unter anderem ein Sommerhäuschen am Reutberg oder ein großer botanischer Garten in der Leonhardsruhstraße.

Ein Löwe war der Liebling

Die seltenen, exotischen Pflanzen benötigte er für seine Säfte, Tinkturen oder Pillen, die er selbst herstellte und vertrieb. Ein Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterstab kümmerte sich um die Pflege von Garten, Haus und Tieren.

Das heutige Haus des Gastes kaufte er 1939 der Gunzenhäuser Casino-Gesellschaft ab und kam damit der NS-Ortsgruppe zuvor, die dort ein „braunes Haus“ einrichten wollte. Sein Privatzoo ist bis heute legendär, hielt er sich doch Affen, Flamingos oder Papageien.

Selbst einen ausgewachsenen Bären soll er besessen haben, doch sein Liebling war offenbar ein Löwe. Dieser wurde sogar mit zum Männerstammtisch in die Gastwirtschaft „Altes Rathaus“ genommen und saß dort am Tisch.

Viele Rätsel

Es gibt noch viele Geschichten über Johann Reichardt zu erzählen und so manches Rätsel wird wohl nie gelöst werden.

Die Ausstellung „Johann Reichardt – Goldmacher, Naturheilkundiger, Zauberer“ ist noch bis Freitag, 5. August, in der Stadt- und Schulbücherei zu sehen. Am Dienstag, 12. Juli, um 18.30 führt Stadtarchivar Werner Mühlhäußer durch die Schau. Anmeldung unter Telefon 09831/508320 oder bucherei@gunzenhausen.de.